ARD-Hörspieldatenbank

Hörspielbearbeitung, Ars acustica


Studio Akustische Kunst


Mauricio Kagel

Mare nostrum. Entdeckung, Befriedung und Konversion des Mittelmeerraumes durch einen Stamm aus Amazonien


Vorlage: Mare Nostrum (Szenisches Spiel)

Komposition: Mauricio Kagel

Redaktion: Klaus Schöning

Technische Realisierung: Benedikt Bitzenhofer, Mechthild Austermann

Regieassistenz: Hans Georg Andres


Regie: Mauricio Kagel

Lange hat mich die Idee der Umkehrung der Ereignisse beschäftigt. Diesmal sollten also die Außer-Europäer jenen Kontinent entdecken, von dem die ertragreichen Kolonisationsreisen ausgingen. Es ist für mich nicht leicht, einen Kompositionsprozeß zu beschreiben, der so langwierig war. Ich sollte hier vielleicht erwähnen, daß nicht nur die Musikgeschichte, sondern Geschichts-Geschichte eine meiner Leidenschaften ist. So brachte ich, als ich 1957 endgültig meinen Geburtsort Buenos Aires verließ, nur einige Partituren nach Europa mit, aber einen großen Teil meiner Amerikana. Aus diesen Büchern konnte ich den wirklichen Geist meiner Retourkutsche destillieren. Der Stamm aus Amazonien, der das Mittelmeer entdeckt und befriedet, um es schließlich angemessen zu konvertieren, richtet seine Arbeit mit dem gleichen Ehrgeiz und gleichen Rücksichtslosigkeit aus wie jene Eroberer, die für dieses Spiegelbild Modell gestanden haben. Die Besetzung des Stücks sieht zwei Sänger vor: Der Bariton übernimmt die Rolle eines Erzählers, der an der Entdeckung des Mittelmeerraumes beteiligt war, aber zugleich Nachkomme des heute längst ausgestorbenen Stammes ist. Der Contra-Tenor dagegen stellt den jeweiligen Eingeborenen dar. Die Sprache des Berichterstatters habe ich in einer Mundart geschrieben, etwa ein Kompositum des Deutschen, wie Gastarbeiter zu reden pflegen. Die Sprache des "eroberten" Gastlandes zu benutzen, soll hier also als Zeichen der ständigen Bemühungen stehen, sich glaubhaft auszudrücken. Eine Verständigung ist nur dann gegeben, wenn die gemeinsame Sprache - obgleich fortwährend entstellt - die erlernte Bedeutung nicht verläßt. Die Mitwirkenden sitzen um ein Wasserbecken, dessen Umriß etwa den geographischen Handlungsort darstellt. Das zunächst durchsichtige Wasser wird hier, nicht anders als in Wirklichkeit, immer trüber, abstoßender, schließlich Sud. In diesem Mare Nostrum fährt das Schiff der Amazonier von Land zu Land, um immer von neuem weiße Wilde und deren fragwürdige Sitten zu entdecken. Mag diese Fabel ein Gleichnis mit umgekehrten Vorzeichen sein, jedenfalls ist eines sicher: idealistische Vorstellungen und Wunschträume schlagen in der Geschichte immer fehl. Und trotzdem bleibt die Frage offen: Waren auch die wilden Weißen mit Schwert und Feuer zu zivilisieren gewesen? (Mauricio Kagel)

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Mitwirkende

Musik: Axel Köhler (Kontratenor), Klaus Hirte (Bariton), Thaddeus Watson (Flöte), Joseph Sanders (Oboe), Manos Tsangaris (Schlagzeug), Jürgen Ruck (Gitarre), Karin Schmeer (Harfe), Michael Stirling (Violoncello)

 

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Westdeutscher Rundfunk / Saarländischer Rundfunk 1992

Erstsendung: 03.11.1992 | 57'36

Darstellung: