ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Horologium nocturnum
Technische Realisierung: Helmuth Schick, Renate Heinzmann
Regieassistenz: Christoph Müller
Regie: Norbert Schaeffer
"Als 'Horologium nocturnum' bezeichnete man im Mittelalter einfache Uhren und Tabellarien, die es den Nonnen und Mönchen in ihren Klöstern ermöglichten, auch nachts die Stundengebete zeitlich einzuhalten. Auch mein Hörspiel ist ein solches Horologium. Nur sind die Klöster, die ich meine, keine Orte religiöser Einkehr, sondern Kultbezirke des Verfalls: Industriebrachen, Ruinen, Wracks. Meine Nonne heißt Sabina und ihr Mönch Nero. Sie tragen weder Schleier noch Kapuze, sind nicht enthaltsam, und der Götze, den sie anbeten, heißt Vergänglichkeit. Ihre Nachtoffizien sprechen sie auf Band, ihre Tempel fahren sie mit Cabrio und Geländewagen an, ihr Altar ist aus Schutt. 'Es war eine von jenen unheimlichen Nächten, wo Licht und Finsternis schnell und seltsam miteinander abwechselten' (Bonaventura), als zwei Menschen den Weg von Sabina und Nero kreuzen: eine Frau, die von Schlaf losigkeit hinausgetrieben, und ein junger Mann, der sich, gehetzt von geilen Träumen, aufmacht zu einem sinistren Rendezvous. Die Stunden, die Minuten und die Sekunden dieser aggressiven Nacht zählt ein chamäleonhafter Voyeur - allgegenwärtig und schmerzlich nah. Wenn alles vorbei ist, setzt er seinen Weg fort und läßt sich, im Ohr noch die Liturgien der Besessenen, wieder davontragen von der gewalttätigsten aller Gewalten: der Zeit." (Dirk Spelsberg)
Dirk Spelsberg, geboren 1954 in Altena/Westfalen, lebt als Schriftsteller in Münster. Hörspiele, Theaterstücke und Prosa.