ARD-Hörspieldatenbank

Essay


Aus der Hörspielwerkstatt


Hubert Fichte

Lohensteins "Ibrahim Bassa"

Radio-Essay von Hubert Fichte zu seiner Hörspielfassung


Redaktion: Heinz Hostnig

Technische Realisierung: Sönke Hennings, Ursula Karsten

"1649, ein Jahr nach dem Westfälischen Frieden, beginnt der vierzehnjährige Lohenstein die Niederschrift des Ibrahim Bassa, 1650 wird das Trauerspiel wahrscheinlich zum Karneval von den Schülern des Magdalenäums in Breslau aufgeführt, 1653 gedruckt und von seinem Autor versendet. Er zeichnet Daniel Casper von Nimptsch und spiegelt einen Adelstitel vor, den er erst nach 1670, vom Kaiser geadelt, als Daniel Casper von Lohenstein führen darf. "Ibrahim Bassa" ist ein außerordentliches Stück Dichtung, das es von keinem anderen Vierzehnjährigen gibt; nur zu vergleichen dem "Bateau Ivre" des siebzehnjährigen Rimbaud, den "Rowley Papers" und des "African Eclogues" des Thomas Chatterton, der sich mit siebzehn umbrachte und dem Christus-Roman des pubertierenden Hans Henny Jahnn. Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Stück zu hören - offizielle und apokryphe. Wenn man die oft falschen Staatsaktionen und das anskizzierte Lokalkolorit abzieht, bleibt ein befremdliches Kammer-Trauer-Hörspiel. Das Hauptmotiv darin - doppelte Begierde - erscheint doppelt gebrochen und doppelt gedoppelt: Soliman liebt zwei Frauen, Roxelane und Isabelle; Isabelle wird von zwei Männern geliebt; Ibrahim schwankt zwischen Eheverpflichtung und Freundestreue; Soliman zwischen Frauenliebe und Männerzuneigung. Jedoch: Als Isabelle sich Soliman verweigert, begnadigt er den Freund und Konkurrenten Ibrahim. Als Ibrahim dann doch aus dem Weg geschlachtet wurde, läßt Soliman die begehrte Isabelle ziehen. Ohne Zweifel identifizierte sich Lohenstein mit seiner Hauptfigur. Der Elephant, über den der 15jährige eine Rede hielt, stand auch am Hofe Solimans. Lohenstein schildert keinen schwächlichen Staatsmann, er schildert einen leidenschaftlich zerrissenen Menschen, der sich dessen bewußt ist. wie nachtwandlerisch umkreist der Junge ein Problem. Warum bringt Soliman seinen Freund um? Und dahinter die Frage: War Soliman schwul? Und dahinter die Frage der Pubertät: Bin ich schwul? Und die Frage, die jedes Kind trifft: Warum verrät mich mein Freund? (Hubert Fichte)

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Mitwirkende

Sprecher/Sprecherin
Hubert Fichte


 

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Norddeutscher Rundfunk 1979

Erstsendung: 21.04.1979 | 85'57

Darstellung: