ARD-Hörspieldatenbank


Originalhörspiel



Jürgen Becker

Häuser



Regie: Raoul Wolfgang Schnell

Wer Jürgen Beckers Prosa genau gelesen hat, wird sie auch gehört haben; denn wie sie geschrieben ist, so ist sie auch gesprochen: Von einer Vielzahl von Stimmen, die freilich weniger mit bestimmten Figuren identisch, sondern Äußerungen eines aufgelösten Bewusstseins sind. Der Schritt von seinen Texten ins Medium des Hörspiels ist für Jürgen Becker darum nur zwangsläufig: Die Stimmen verselbständigen und konkretisieren sich: Sie konstituieren einen Zusammenhang sprachlicher Verhaltensweisen. Die drei Hörspiele von Jürgen Becker entsprechen dabei keinem dramaturgischen Muster; sie sind weitere Beispiele seiner offenen, unbestimmten, freien Schreibweise und zugleich stehen sie für die neuen Tendenzen ein, die das Hörspiel in der aktuellen Phase seiner Geschichte eingeschlagen hat. So werden in diesen Radiostücken keine Fälle dramatisiert, keine Geschichten in die akustische Szene übersetzt; sie demonstrieren vielmehr einen Kontext von Redensarten und Sprechweisen, die allein von bestimmten thematischen Impulsen gesteuert werden. Die Stimmen, die in "Häuser" vorkommen, sind überall denkbar, wo gewohnt, geschlafen, gebaut, umgezogen, eingerissen, renoviert, der Besitz gewechselt, der Rasen gemäht, der Keller aufgeräumt, der Nachbar nicht mehr gegrüßt, ein Hausfreund beobachtet, ein Brand gelegt und weiter alles gemacht und getan wird, was mit Hausbesitz, Hausordnung, Hausfriedensbruch, Hausherren, Hausfrauen und Häusern zu tun hat. Nicht anders als in seinen "Feldern" und "Rändern" demonstriert Jürgen Becker damit zeitgenössische Denk- und Lebensweisen: Mit ihren Verdrängungen und Illusionen, in ihrem restaurierten Status, in ihrer blinden Ideologie, in ihrer Hoffnung auf Veränderung und Erneuerung.

"Der Leser liest, der Hörer hört Stimmen, Gespräche, Rufe, Gerede, Sprüche, Slogans, Beschreibungen, Fragen, Feststellungen, Anweisungen, Anforderungen, Aufzählungen, Schreie, und dies alles stellt einen Zusammenhang her, in dem von Ferienhäusern, Landhäusern, Kaufhäusern, Hochäusern, vom Hausbesitz, Hauswart, Hausfriedensbruch, von der Hausordnung und Hausgemeinschaft, von Hausfreunden, Hausfrauen und Hausherren die Rede ist, und das heißt zugleich: die Stimmen artikulieren die Umgebung, in der wir uns eingerichtet haben, der wir täglich ausgesetzt sind, die unsere Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Illusionen, Erinnerungen, Konflikte, Entfremdungen, Aggressionen, Sentimentalitäten, unsere Art zu leben bestimmt" (Jürgen Becker)

Jürgen Becker, 1932 in Köln geboren, zog 1939 mit seiner Familie nach Erfurt, wo er die Kriegsjahre verbrachte; nach dem Abitur ging er 1950 nach Köln zurück und wurde Mitarbeiter des WDR, Lektor im Rowohlt-Verlag, freier Schriftsteller, dann Leiter des Suhrkamp-Theaterverlags, schließlich Leiter der Hörspielabteilung im Deutschlandfunk. Mit den Büchern »Felder« (1964) und »Ränder« (1968) trat er erstmals literarisch hervor. Seine Prosa vermied alle liebgewordenen Gewohnheiten und zog sich radikal zurück auf die Bestandsaufnahme des Wahrnehmbaren oder, strenger, auf die Sprache selbst. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Georg-Büchner-Preis. (Pressetext von 2014 anlässlich der Wiederholung beim hr)

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Mitwirkende

Sprecher/Sprecherin
Karin Buchali
Sigrun Höhler
Maria Krasna
Elisabeth Opitz
Gisela Sauer
Herbert Fleischmann
Wolfgang Forester
Kurt Lieck
Alwin Joachim Meyer
Wolfgang Peau
Matthias Ponnier
Heinz Schacht


 


Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Westdeutscher Rundfunk / Süddeutscher Rundfunk / Südwestfunk 1969

Erstsendung: 08.10.1969 | 44'56


VERÖFFENTLICHUNGEN

  • Schallplatten-Edition: Deutsche Grammophon/Luchterhand Verlag 1973

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