ARD-Hörspieldatenbank
Hörspielbearbeitung
Der Fall Meursault
Eine Gegendarstellung
Vorlage: Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung (Meursault - contre-enquête) (Roman, französisch)
Übersetzung: Claus Josten
Bearbeitung (Wort): Ulrich Lampen
Komposition: Fadhel Boubaker
Redaktion: Cordula Huth
Dramaturgie: Cordula Huth
Technische Realisierung: Christian Bader, Roland Grosch, Julia Kümmel
Regieassistenz: Miriam Brand
Regie: Ulrich Lampen
»Heute ist Mama gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiß es nicht.« So beginnt »Der Fremde« von Albert Camus, erschienen 1942. »M‘ma lebt – immer noch. Sie sagt zwar nichts mehr, aber sie hätte einiges zu erzählen.« Mit diesen Sätzen beginnt »Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung« von Kamel Daoud. Genau siebzig Jahre liegen zwischen diesen beiden Veröffentlichungen, in denen Camus mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt wurde und Algerien die Unabhängigkeit erreichte. Kamel Daoud stellt nach 70 Jahren eine bohrende Frage: Wer war der namenlose Araber, der von Meursault damals am Strand erschossen wurde? Und durfte die literarische Welt einfach so über seine Identität hinweggehen? Zu den Motiven dieses Mordes bzw. Totschlags gibt es unzählige Interpretationen. War es die Hitze, das Meer, das Phlegma, der Müßiggang oder war es wegen einer Frau? Im Roman wird Meursault zum Tode verurteilt. Während er auf seine Hinrichtung wartet, ist er endlich bereit »für die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt.« und er wünscht sich nur noch eines: »Am Tage meiner Hinrichtung viele Zuschauer, die mich mit Schreien des Hasses empfangen.« Kamel Daoud lässt in seiner Gegendarstellung den Bruder des Toten zu Wort kommen und füllt die Lücke in der Geschichte: Der Erschossene war mein Bruder. »Er hieß Moussa«. Nun hat er einen Namen! Aber wer war er? Was ist seine Geschichte und die Geschichte seiner Familie und seines Landes? Das Hörspiel erzählt von einer assoziationsreichen, oft verzweifelten Suche nach Identität – ein raffiniertes literarisches Spiel, bei der Camus‘ Roman den Ausgangspunkt darstellt. Wer ist der andere und wer ist der Fremde in diesem Spiegelkabinett der Sprachen, Geschichten und Identitäten?
Kamel Daoud, Jahrgang 1970, arbeitete lange als Journalist für den Quotidien d’Oran und andere Zeitungen. Heute lebt er als Schriftsteller mit seiner Familie in Oran. Für seinen ersten Roman »Der Fall Meursault« wurde er u. a. mit dem Prix Goncourt du Premier Roman ausgezeichnet. Sein zweiter Roman »Zabor« erschien 2019 in der deutschen Übersetzung.