ARD-Hörspieldatenbank

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Ars acustica



Hartmut Geerken

bombus terrestris revisited

Live-Ursendung


Technische Realisierung: Wilfried Hauer, Angelika Haller


Realisation: Hartmut Geerken

Geerken belauschte monatelang mit Mikrophonen ein Hummelnest. Die Tonaufnahmen montierte er ohne jede technische Bearbeitung nach einer handschriftlichen Partitur, die nicht nur die gelben Streifen der Hummel, sondern auch eine Skizze des Nestes und den Strichcode der Kassetten als Vorgabe aufnahm. Das Hörspiel 'bombus terrestris' (BR 1998) stellt insofern eine Art Zwiegespräch zwischen Autor und Erdhummeln, aber auch eine Reflexion des Aufnahmemodus dar. Nun wird Geerken live im Studio das Material noch einmal sichten und das Gespräch neu aufnehmen: zwischen dem existierenden Hörspiel, den Insekten und dem Publikum. Zu 'bombus terrestris revisited' schreibt Hartmut Geerken: "da die unveränderliche form eine offensichtliche illusion des abendlandes ist, begebe ich mich erneut in ein hummelnest hinein & zwar in die festgelegte produktion meines hörspieles 'bombus terrestris' von 1998. ich versuche ein weiteres mal mit den insekten bzw. deren archivierten stimmen spontan kontakt aufzunehmen. wahrscheinlich ist diese aktion eines interspecies-gesprächs einer der bescheidenen versuche, die abweisende haltung des abendlandes dem fluss der dinge gegenüber zu überlisten. es gehört zum arroganten selbstverständnis des menschen, dass er nur das unter sprache versteht, was er versteht. Dabei ist das summen & brummen der hummeln eine der ältesten sprachen auf diesem planeten. die hummeln haben gesummt & gebrummt lange bevor der mensch seinen ersten laut von sich gab. weltweit gibt es etwa 500 hummelarten, davon sind 63 in europa beheimatet, davon wiederum 46 im deutschsprachigen raum & 31 im deutschen. die 'bombus terrestris', die große erdhummel, ist in deutschland wohl die häufigste hummelart. flügel, die das mikrofon kurz berühren oder hummelbeine, die flüchtig darüber hinwegkrabbeln, erzeugen die akustik eines unscharf eingestellten radiosenders. es bleiben nur die zischlaute übrig. beim genauen hinhören entdeckt man metasprachen, von denen die hummeln wahrscheinlich nichts ahnen. zeitzeugen berichten, dass das geräusch der sterbenden in den gaskammern von auschwitz an das summen & brummen eines bienenstocks erinnert habe. jeder hörer entdeckt wieder andere metasprachen & hört damit jeweils sein eigenes hörspiel. die tonaufnahmen für 'bombus terrestris' kamen auf unterschiedliche weise zustande. die stereomikrofone wurden an verschiedenen stellen um oder im nest placiert. die dadurch entstandenen verschiedenen soundqualitäten habe ich übergangslos aneinander, aber nicht übereinander montiert". "Geerkens Hörspiele fordern nämlich - da kein dominierender Inhalt die Hörlust kastriert - ein ruhiges, gelassen konzentriertes, zeitlich ungebundenes Zuhören (...), weil sie eben nicht reduzierbar sind auf Handlung oder Figuren, sondern weil aus ihren akustischen Verfahren erst das aktive Zuhören ein Hörspiel macht". (Klaus Ramm)

Hartmut Geerken, geboren 1939 in Stuttgart, Schriftsteller, Komponist, Jazz-Musiker und Mykologe, ist Mitherausgeber der Reihe "Frühe Texte der Moderne" und Diskograph von Su Ra. Er wurde mit dem Preis des Münchener Literaturjahrs (1984) und dem Schubart-Literaturpreis (1986) ausgezeichnet. Zu seinen Veröffentlichungen gehören u.a. "Murmel Gedichte" (1965), "Verschiebungen" (1972), "sprünge nach rosa hin" (1981), "kant" (1998). Für die Hörspiele "südwärts, südwärts" (BR 1989) und "hexenring" (BR 1994) erhielt Geerken den Karl-Sczuka-Preis.

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Mitwirkende

Sprecher/Sprecherin
Hartmut Geerken


 


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Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Bayerischer Rundfunk 2000

Erstsendung: 25.02.2000 | 78'40


REZENSIONEN

  • Frank Olbert: In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 25.02.2000. S. 51.

Darstellung: