ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Largoschmerzen. Ein sozialmedizinisches Desaster
Komposition: Zeitblom
Regie: Leonhard Koppelmann
Die musikalische Vortragsbezeichnung „Largo“ beschreibt laut Lexikoneintrag ein langsames musikalisches Tempo. Im Grunde nur eine geringe Modifikation des mittleren Zeitmaßes – so zumindest in der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts – erweist sich das „Largo“ in der Fiktion von Dietmar Daths neuem Hörspiel als umso folgenreicher. Denn Esther leidet an „Largoschmerzen“. Immer wenn sie sich mit Kunst, Literatur oder Musik beschäftigt, die ihrem Eindruck nach zu langsam funktioniert, bekommt sie Schweißausbrüche, Übelkeit, gefriert ihr scheinbar das Blut in den Adern: „so ein breites, sich kaum merklich voran wälzendes Ding, wie Lava, wie die Platten der Erdkruste, noch langsamer als Adagio oder Lento, und das nannte man Largo, und das eben ruft bei mir diese Symptome hervor, diese ganzen Angstanfälle und Übelkeiten, das rasende Kopfweh bei bestimmten Sachen.“ Holger, Esthers Freund und Dozent für eine Onlineuniversität, sieht darin eher die Folgen eines zu ausgiebigen Konsums von Fernsehserien, Comics und Techno und rät ihr, sich ganz bewusst dem langsamen Tempo anspruchsvoller Kunst auszusetzen. Statt diesen Rat zu befolgen, beginnt Esther eine Therapie bei Dr. Nina Milikan, die selbst an einer hypochondrischen Störung leidet, sich diese aber zu Nutze gemacht hat. Dr. Milikan verschreibt Akzeptanz und Hineingehen in die vermeintliche Krankheit. Esther liest oder hört deshalb Romane, Gedichte, Musik einfach parallel, erhöht das Tempo und ist damit glücklich. Im Gegensatz dazu hat Milikans Kollege, der Notarzt Dr. Dietze für seine Patienten ein anderes Mittel. Er macht sie abhängig von der Droge Redonil. Damit ist einem alles egal, sogar wenn man keinen Nachschub der Droge mehr hat. So unterschiedlich diese Ansätze sind, beide medizinischen Methoden erzeugen am Ende eine unvorhersehbare Überraschung. Mit Witz und subversiven Attacken auf Gesundheitssystem, Schulmedizin und die Trennung von U- und E-Kultur zeichnet Dath in Largoschmerzen ein aus konventioneller Perspektive betrachtet „sozialmedizinisches Desaster“. Vor allem aber ein vom Realistischen ins Phantastische kippendes Szenario über Menschen, die in der Gesellschaft nicht funktionieren und dies als Alternative oder Subversion von bestehenden Verhältnissen befördern.
Dietmar Dath, geb. 1970, Journalist, Autor und Übersetzer. Werke u.a. Cordula killt Dich! oder Wir sind doch nicht Nemesis von jedem Pfeifenheini (Roman, 1995), Phonon oder Staat ohne Namen (Roman, 2001), Schöner rechnen. Die Zukunft der Computer (2002), Höhenrausch. Die Mathematik des XX. Jahrhunderts in zwanzig Gehirnen (2003), Sie ist wach. Über ein Mädchen das hilft, schützt und rettet (2003), Für immer in Honig (Roman, 2005), Dirac (Roman, 2006), Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift (2008), Die Abschaffung der Arten (Roman, 2008), Pulsnacht (Roman 2012), Feldecáye (Roman 2014). Hörspiele u.a. Das An-/Aus-Versprechen (HR 2002), Die Abschaffung der Arten (BR 2011), Ovale Fenster (mit Thomas Weber, Volker Zander, SWR 2012), Antilopenverlobung (mit Mareike Maage, BR 2013).