ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Hildegard und ich
Redaktion: Klaus Schöning
Technische Realisierung: Susanne Baltes
Regieassistenz: Renate Heitzmann
Regie: Götz Naleppa
'Es war einmal ein kleines Mädchen, das wurde mit sechs Jahren in ein Kloster geschickt.' 'Es war einmal ein kleines Mädchen, das wurde am Rande des Urwalds geboren.' Das erste Mädchen ist Hildegard von Bingen, die 'Seherin des Rheins', 1098 in Bermersheim geboren. Das zweite bin ich, 1943 in Paraguay geboren. Was verbindet mich mit Hildegard? Zum Teil ist es der Zufall des Schicksals. Ich entdeckte Hildegards Schriften, als ich acht Jahre alt war, und las sie heimlich in dem Buch 'Mystik deutscher Frauen'. Ich dachte, daß es ein verbotenes Buch war, weil die Sprache oft so erotisch war. Hildegard schrieb von Kosmos, Gott, Natur, dem Menschen, von der Liebe (Caritas). Sie schrieb ein 'feuriges', leidenschaftliches Werk. Sie evozierte herrliche und grauenerregende Bilder in meiner kindlichen Phantasie. Ich kannte als Kind keinen Unterschied zwischen Gott/ Natur/Schönheit/ Kunst. Ich wußte nur, daß alle diese Elemente meine Vorstellung und mein Gemüt bewegten und meine Seele erregten. Die Natur war meine Religion und mein Sinnbild. Auch Hildegard liebte die Natur und fand in ihr ein Sinnbild des Göttlichen Wesens. Der Mensch war ein Teil der Natur. Für sie war der menschliche Körper ein Mikrokosmos vom Makrokosmos des Universums. Mich interessiert Hildegards Ikonologie besonders deshalb, weil sie so oft den menschlichen Körper als Sinnbild für den Kosmos gebraucht, und weil ihre Sprache so konkret auf sinnlichen Erlebnissen basiert: sie spricht von Ton, Klang, Schall, Geruch, Farben, Licht etc. Ich bin überzeugt, daß ihre inspirierenden Visionen die einer Künstlerin waren, und sie äußerten sich in Formen, die damals einer Frau erlaubt waren. So spüre ich eine starke Verbindung zu Hildegard und versuche, diese in meinem Hörspiel klar zu machen." (Faith Wilding)
