ARD-Hörspieldatenbank

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Feature



Holger Jackisch

Die Bevölkerung wird gebeten ...

Auf der Suche nach dem Ausbrecher aus dem Gefängnis Bautzen II


Technische Realisierung: Holger Kliemchen

Regieassistenz: Steffi Mannschatz


Regie: Sabine Ranzinger

Anders als das unter dem Namen "Gelbes Elend" weithin bekannte Bautzener Gefängnis war die Strafanstalt Bautzen II, mitten in der Stadt gelegen, gesichert wie ein Untersuchungsgefängnis und Gefangenen vorbehalten, die besonders isoliert werden sollten. Erich Loest hat hier gesessen, Walter Janka und Wolfgang Harich. Den Bürgern von Bautzen war die Existenz dieses Sondergefängnisses im Herzen der Stadt bekannt, eine Rolle in ihrem Alltag und ihren Gesprächen hat es indes nie gespielt. Das Schweigen war allgemein - bis auf eine Ausnahme. Am 28. November 1967 gelingt dem Strafgefangenen Dieter Hoetger, wovon andere nur träumen. Er durchbricht die Zellenwand, läuft durch den Innenhof und überklettert die äußere Absperrung, wobei er Alarm auslöst. Der Ausbrecher war 27 Jahre alt und unter den Gefangenen als "Tunneldieter" bekannt. 1961 hatte er sich in Berlin am Bau eines Fluchttunnels beteiligt, um seiner Ehefrau, von der er durch den Mauerbau getrennt worden war, die Flucht in den Westen zu ermöglichen. Das Vorhaben wurde verraten, Dieter Hoetger zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt. Seine Flucht aus Bautzen, sechs Jahre später, löst eine der größten Suchaktionen in der Geschichte der DDR-Volkspolizei aus. Dieter Hoetger aber ist wie vom Erdboden verschluckt. So wird in diesem Fall die Bevölkerung, sonst verschont von den Vorgängen hinter den Mauern, um Mithilfe gebeten. In allen Verkaufsstellen der Stadt hängen Steckbriefe mit dem Foto Dieter Hoetgers aus, und auf Hinweise wird eine Prämie von 1000 Mark ausgesetzt - damals mehr als zwei Monatslöhne. Die Stadt erlebt Straßensperren und Hubschraubereinsätze. Für dieses eine Mal ist das Gefängnis präsent im Alltag der Stadt. Der Autor, selbst in Bautzen aufgewachsen und damals als Schüler Zeuge der Vorgänge, erinnert sich an die Atmosphäre jener Tage. Er geht der Frage nach, wie eine Stadt funktioniert, in deren Mitte Tausende gefangen gehalten werden. Und er erzählt von seiner eigenen Suche nach Dieter Hoetger. Der war nach neun Tagen Flucht gefangen und zu weiteren neun Jahren Gefängnis verurteilt worden - für jeden Tag in Freiheit ein Jahr. In der Bevölkerung aber wurde verbreitet, der Häftling sei nach den Strapazen der Flucht an einer Lungenentzündung verstorben. Mehr als dreißig Jahre später hat der Autor den Ausbrecher von damals getroffen und sich die Geschichte seiner Flucht erzählen lassen.

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Mitwirkende

Sprecher/Sprecherin
Daniel Minetti
Thomas Thieme


 


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Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Mitteldeutscher Rundfunk 2000

Erstsendung: 12.08.2000 | 09:00 Uhr | 58'18

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