ARD-Hörspieldatenbank

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Originalhörspiel, Originaltonhörspiel



Wolfgang Gabel, Herbert Henck

Einsichten - Aussichten

Versuch eines Hörspiels über die Freiheitsstrafe



Regie: Hein Bruehl

"Gefängnis sagt man, ist so -, und so sind auch die Täter drinnen. Mein Hals hat einen Trauerrand aus Vorstrafen. Dennoch besuchte mich Herbert Henck in der Strafanstalt; sein Vater ist Arzt dort. Und dann überlegten wir zusammen. Gefängnis ist nicht so; reformiertes auch nicht. Gefängnis ist und bleibt Tier; manchmal streichelt es mit Fäusten. Daran ändern keine Reformen was. Man kann keine Menschen herbei reden, die nicht da sind, wenn man zu sprechen wünscht, drinnen. Ich hörte auf, diesen Monolog zu beten, als Herbert das Tonbandgerät mitbrachte und mich mit Fragen dorthin führte, wo das Gefängnis als Strafe noch bewiesen ist. Wir sammelten typische Geräusche aus dem "Knast", mit denen man leben muss. Gefängnis ist das andere, das sich meine Nachbarn draußen nicht vorstellen können. Gefängnis bleibt Strafe, auch bei besseren Rundfunk- und Fernsehprogrammen, bei sauberem Wasser im Swimming-Pool, beim schönen Paket aus christlichem oder anderem Mitleid, beim monatlichen Geschlechtsverkehr für Eheleute oder bei der sonntäglichen Predigt; bei Günter Grass' Dichterlesung auch. Wir saßen in einer Zelle und sprachen. Das Band lief mit. Es war kurz vor Weihnachten; auf den Fluren ware Tannenzweige ausgeteilt worden. Die Menschen draußen sprachen davon, dass auch wir Menschen wären. Deshalb machten wir das Stück. Auch um zu zeigen, wie weit weg man ist, sitzt man drinnen. Es mit Worten zu sagen, ist unmöglich; die Geräusche sagen es besser. Das Schreiben, dachten wir, wird noch als menschliches von Menschen erkannt werden können. Schreien ist verboten. Wer zu leise schreit, wird nicht bemerkt - drinnen und draußen nicht." (Wolfgang Gabel)

Montage von Aufnahmen, die die Autoren in einer Strafvollzugsanstalt aufgenommen haben.

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Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Westdeutscher Rundfunk 1972

Erstsendung: 23.03.1972 | 57'34

Darstellung: