ARD-Hörspieldatenbank

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Hörspiel



Gerrit Pleiter

Vorsicht, nicht stoßen bitte


Übersetzung: Georg Jappe, Elisabeth Jappe

Komposition: Kurt Herrlinger


Regie: Hans Gerd Krogmann

Psychologen und Mediziner reden inner- und außerhalb ihrer Fachkongresse von Lärmneurosen und Geräuschtraumata als spezifischen Krankheitssymptomen unserer Zeit. "Der Mensch dieses Jahrhunderts ist auf der Suche nach der Stille" hieß es kürzlich in einer Betrachtung. Aber wohin sollen wir uns wenden? Zurück in einen neuen prähistorischen Zustand? Oder sollen wir Ruhe-Maschinen entwerfen, die uns in ein Geräuschvakuum hüllen? Die Kluft zwischen unserer inneren und äußeren Wirklichkeit würde dadurch nur noch größer werden. Der niederländische Autor Gerrit Pleiter, dem es in seinem Hörspiel um diese Fragen geht, bemerkt dazu: "Ich habe noch nie gelesen, dass man Mitleid hätte mit den Fledermäusen. Was haben diese Tierchen nicht zu leiden, denn mit ihnen verglichen, hat der Mensch nur ein rudimentäres Gehörorgan. Die Stille kann man dann auch getrost als einen Defekt auffassen, als eine Fata Morgana von Gehörgestörten. Wenn wir Fledermausorgane in unseren Kopf transplantieren würden - ein Walfischgehör wäre auch gut, aber wahrscheinlich ein bisschen zu auffällig - würden wir dieselbe Erfahrung machen, wie der Mann, den ich neulich sprach. Er war taub gewesen und nach einem ärztlichen Eingriff entdeckte er, dass seine Stille ein Orkan von Geräuschen war: Er hörte Regen, Wind, Fahrradreifen auf einem Klinkerweg. Die Identifizierung von Ruhe und Stille mit geistiger Entspannung beruht dann auch auf einem Irrtum. Wir heilen den Menschen nicht von seinen Zeitneurosen dadurch, dass wir ihm romantische Flucht als empfehlenswert suggerieren, was gewöhnlich die Folge eines Defektes ist. Wir könnten besser den Aberglauben an die Stille vernichten, als unseren heutigen Problemen mit Waldgeistern zu Leibe rücken." . Das Problem der Stille aber hat für Pleiter noch eine andere Seite. Es ist nicht nur psychologisch und medizinisch bestimmt, sondern auch religiös. Der Mensch, der in diesem Jahrhundert Gott in der Stille sucht, kann nichts anderes tun, als ihn für tot erklären, weil er von einer primitiven und antropomorphen Gottesvorstellung ausgeht. Der Autor definiert es so: "Gott wohnt nicht in der Stille. In der ohrenbetäubenden Maschinenwelt kann ich ihn ebenso gut erfahren, wie der mittelalterliche Mensch in seiner Klosterzelle oder der gedämpften Stille einer Kathedrale. Ich suche eine neue Mystik, dass Gott auch im Jahre 2000 erkennbar ist, in einem Computer, der alle Autounfälle für ein Jahrhundert mit Ursache, Zeit und Ort vorausberechnen kann ..." . Aus solchen Gedankengängen ist das Hörspiel "Vorsicht, nicht stoßen, bitte" des führenden niederländischen Hörspiel-Autors Gerrit Pleiter hervorgegangen. Es handelt von den bahnbrechenden Schallaufnahmen des Sonografen Wormgoor, der behauptet, die Klänge, die für den Menschen nicht wahrnehmbar sind, übersetzen zu können. Humoristen und Glossenschreiber profitieren von seinen Berichten freilich mehr als die Sachverständigen. Diese erklärten ihn schlichtweg für verrückt. Allerdings wissen Eingeweihte, dass er über ein eimaliges Tonlaboratorium verfügt und unvorstellbare Mengen Tonbänder mit einzigartigen Geräuschen gesammelt hat. . Eines frühen Morgens, so lautet der psychiatrische Befund, wurde Wormgoor im Garten seines brennenden Hauses angetroffen, in viele hundert Meter Tonband verwickelt. Diese Bänder aus dem Nachlass sind, wie der Psychiater feststellt, nicht nur für die Psychiatrie von Interesse, sondern stellen in erster Linie ein menschliches Dokument dar. Für Gerrit Pleiter, der sich in vielen Berufen versuchte und heute als Studienrat Literatur doziert, bedeutet Hörspiel "Sehen mit geschlossenen Augen". Seine monologischen Montagen sind das logische Ergebnis des Versuchs, den Stoff in Form einer fiktiven Dokumentation auszubreiten: Bruchstücke einer irren, auf Tonbändern gespeicherten Konfession.

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Mitwirkende

Sprecher/SprecherinRolle/Funktion
Kurt LieckWormgoor
Margit SpielmeyerAnsagerin
Rosemarie VoerkelDauwdropje


 


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Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Westdeutscher Rundfunk 1968

Erstsendung: 19.06.1968 | 74'50

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