ARD-Hörspieldatenbank

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Originalhörspiel



Michael Farin, Katrin Seybold

Lisa Fittko - Chicago 2000


Komposition: Georg Zeitblom

Technische Realisierung: Susanne Herzig


Realisation: Michael Farin

"Es gibt gewisse Bücher, hinter denen eine der Weißen Rose würdige Lebensgeschichte steht. Lisa Fittkos Erinnerungen sind von dieser Art", schrieb Jürgen Habermas zu Lisa Fittkos Buch "Mein Weg über die Pyrenäen" (1985). Lisa Fittko, 1909 geboren, entstammt dem deutschsprachig-böhmischen Judentum. Sie wächst in Wien und Berlin auf. 1933 muss sie Deutschland wegen ihrer politischen Untergrundarbeit verlassen und flieht nach Prag. Hier lernt sie ihren Mann Hans Fittko kennen, der im kommunistischen Widerstand aktiv ist. Als die Deutschen seine Auslieferung verlangen, fliehen beide in die Schweiz und geraten über Holland nach Paris. Dort wird sie 1940 wie Hannah Arendt und zehntausend andere Frauen als "feindliche Ausländerin" in dem berüchtigten Lager Gurs interniert, entkommt beim Einmarsch der Deutschen und findet ihren Mann wieder. Zusammen fliehen sie nach Marseille. Weil sie keine gültigen Papiere haben, reist sie, nach Auswegen suchend, an die französisch-spanische Grenze, um einen Fluchtweg auszukundschaften. Da steht plötzlich Walter Benjamin vor der Tür. Lisa Fittko hat Walter Benjamin über die Pyrenäen geführt und später - unter Einsatz ihres Lebens - gemeinsam mit ihrem Mann, weit mehr als hundert anderen Verfolgten die Flucht vor den Nazis ermöglicht. Denn nachdem die Vichy-Regierung mit dem NS-Regime einen Auslieferungsvertrag für alle Emigranten geschlossen hatte, war Südfrankreich zur Menschenfalle geworden. Um wenigstens einige Intellektuelle und Künstler zu retten, hatten in die USA geflohene deutsche Sozialisten das "Emergency Rescue Committee" gegründet. Über einen alten Schmugglerpfad schleusten sie Schriftsteller, Nazigegner, Reichstagsabgeordnete, Ärzte und viele andere nach Portbou, Spanien. Ende 1941 wird Lisa und Hans Fittko der Aufenthalt in der Grenzregion untersagt. Ihre Flucht nach Kuba gelingt, später sogar, allerdings erst 1948, die Einreise in die USA, nach Chicago. Im Jahre 2000 hat sich Lisa Fittko vor der Filmkamera in einem mehrstündigen Interview noch einmal schlaglichtartig all dessen erinnert. In dieser daraus eigens für das Radio produzierten O-Ton-Collage erzählt sie uneitel, anschaulich und bisweilen mit einem dem Leid abgetrotzten Humor von dem, was sie für das "Selbstverständliche" hält: gegen die Nazi-Barbarei Widerstand zu leisten und Menschen zu retten. Auf dem Denkmal für die "unbesungenen Helden" Hans und Lisa Fittko in Banyuls steht denn auch noch heute: "Es war das Selbstverständliche." Am 11. März 2005 ist Lisa Fittko in Chicago gestorben.

Michael Farin, geboren 1953, ist Autor und Verleger. Er schrieb das Drehbuch für den Film "Der Totmacher" (1995 zusammen mit Romuald Karmakar). Von ihm stammen außerdem u.a. die Hörspiele "Das Warheads-Oratorium" (BR 1997, zusammen mit Romuald Karmakar), "Amokkopf" (HR 2001) und zahlreiche Bearbeitungen.

Karin Seybold, geboren 1943, ist Filmregisseurin. Seit 1979 hat sie eine eigene Produktionsfirma. Sie ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin und der European Film Academy. Von ihr sind u.a. die Filme "Es ging Tag und Nacht, liebes Kind" (1982) und "Nein!" (1998).

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Mitwirkende

Gesprächsteilnahme: Lisa Fittko

Interview geführt von: Katrin Seybold, Catherine Stodolsky

 


 


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Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Bayerischer Rundfunk 2005

Erstsendung: 20.03.2006 | 20:30 Uhr | 54'22

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