ARD-Hörspieldatenbank

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Hörspielbearbeitung



Elfriede Jelinek

Neid (2. Teil)


Vorlage: Neid (Roman)

Bearbeitung (Wort): Karl Bruckmaier

Komposition: Frode Haltli, Maja Ratkje

Redaktion: Katarina Agathos, Herbert Kapfer

Technische Realisierung: Wilfried Hauer, Andreas Meinetsberger, Susanne Herzig

Regieassistenz: Kristina Gerhard, Stefanie Ramb


Regie: Karl Bruckmaier

Fortsetzungsroman, Bekenntnisliteratur, Künstlerinnenroman, Autobiografie, Internet-Tagebuch - Elfriede Jelineks Literatur sträubt sich seit jeher gegen eindeutige Zuschreibungen und mit ihrem aktuellen Roman "Neid" ist das nicht anders. Zwischen dem 3. März 2007 und dem 24. April 2008 hat die Autorin ca. 936 Seiten Text unter der Gattungsbezeichnung "Privatroman" online gestellt. Privat ist der Text zunächst deshalb, weil er unabhängig von einem Verlag direkt dem Leser übereignet wird. Dieser soll das Werk gar nicht erst ausdrucken, sondern laut Gebrauchsanweisung am Bildschirm eines Computers, eines E-Books oder am Display eines Handys lesen, kurz: damit machen, was er will. Ein Privatroman ist "Neid" aber auch, weil die Autorin sehr umfangreich Aspekte der eigenen Biografie in den Text mit einbezogen hat. Elfriede Jelinek ist mehr denn je anwesend in ihrem Text, dies aber auch nur deshalb, weil er sich aufgrund seines Erscheinens im Internet als vorhanden und abwesend zugleich erweist, jederzeit im weltweiten Netz verschwinden oder daraus entfernt werden kann. "Gespensterhaft" nennt Jelinek diese Erscheinungsform, die Autorin, Erzählerin, den Roman und die darin enthaltenen figuralen Restbestände und Themen eint. Untot sind die Ich-Erzählerin, ihre Hauptfigur Brigitte K. oder auch die Opfer in der nationalsozialistischen Vergangenheit des Ortes Erzberg, dem fiktiven Schauplatz des Romans. Hier wird nach dem Niedergang des Erzbergbaus und dem Abbau von Arbeitsplätzen um Einwohner und Touristen gekämpft. Vorlage ist Eisenerz in der Steiermark, dessen Bemühungen um Fremdenverkehr im Text in den grotesken Gegensatz zur österreichischen Einwanderungspolitik oder dem sogenannten Eisenerzer Todesmarsch gerückt werden, bei dem 1945 mehrere tausend Juden umkamen. In Erzberg lebt auch Brigitte K., Geigenlehrerin, betrogene Ehefrau, hintergangene Geliebte und phantomhafte Protagonistin des Romans. Ihre Existenz als lebende Tote und schließlich Mörderin scheint in "Neid" ebenso auf, wie aktuelles Geschehen, etwa die Fälle Natascha Kampusch oder Amstetten. Im Redefluss der Erzählerin bleibt wenig unberührt, das Erzählte aber letztlich hinter dem Erzählen selbst zurück. "Neid" ist vor allem Rede-Roman: Stilisierte Mündlichkeit, ausgestellte Zerstreutheit, ständiges Neu-Ansetzen, Abschweifen und das Unterlaufen von Gliederungseinheiten wie Kapitel und Unterkapitel markieren die Verweigerung eines Heimischwerdens in intakter Erzählung oder Eindeutigkeit. Das sprechende Ich blickt zwar auf die es umgebende Welt und hält dieser den Spiegel vor. Die Sprecherin wird im ausgefeilten Redeschwall aber vor allem zur permanenten Beobachterin ihrer selbst. In der Hörspielfassung des Bayerischen Rundfunks leiht Sophie Rois diesem performativen Erzählen ihre Stimme. Der Internet-Text-Körper wird in einen stimmlichen Klangraum überführt und das Angebot des Hörspiels "Neid" als Download im Hörspielpool wird zur Ergänzung des Romans in seinem ursprünglichen Medium. Nicht in Form privater Lektüre und geordneter Leseakte, sondern in Äquivalenz zur Rezeption von Texten im Netz erfährt der Hörer in der Hörspielfassung Wege und Umwege, Verknüpfungen und Hänger der Suchmaschine Neid.

Elfriede Jelinek, geb. 1946 in Mürzzuschlag/Steiermark. Lyrik, Prosa, Theatertexte, Libretti, Drehbücher, Hörspiele, lebt in München und Wien. Ab 1960, bereits während der Schulzeit, Studium von Klavier, Orgel, Blockflöte, später der Komposition am Wiener Konservatorium. 1964 Beginn des Studiums der Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Ab 1967 erste Gedichte und Veröffentlichungen. Abbruch des Studiums, 1968 für ein Jahr Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben. 1969 Tod des Vaters nach langer psychischer Erkrankung. 1971 Orgelabschlussprüfung mit "sehr gutem Erfolg". 1972 Aufenthalt in Berlin, 1973 Aufenthalt in Rom. Seit 1974 verheiratet mit Gottfried Hüngsberg. 1974 Eintritt in die Kommunistische Partei Österreichs, 1991 Austritt. 1995, nach heftiger Kritik und Skandalisierung ihrer Stücke und Romane, Rückzug aus der österreichischen Öffentlichkeit und Erlass eines Aufführungsverbotes der Stücke, das sie 1998 aufhebt. Seit 1998 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. 2004 Nobelpreis für Literatur.

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Mitwirkende

Sprecher/Sprecherin
Sophie Rois
Elfriede Jelinek


Sophie Rois spricht die Rolle der Brigitte K. | © BR / Maria Leutner

Sophie Rois spricht die Rolle der Brigitte K. | © BR / Maria Leutner


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Sophie Rois spricht die Rolle der Brigitte K.
© BR / Maria LeutnerSophie Rois spricht die Rolle der Brigitte K.
© BR / Maria Leutner



PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Bayerischer Rundfunk 2011

Erstsendung: 17.10.2011 | 20:03 Uhr | 53'09


REZENSIONEN

  • Stefan Fischer: Frau am Rand. In: Süddeutsche Zeitung 10.10.2011, S. 15.
  • Eva-Maria Lenz: Ungelebtes Leben. In: epd Medien 28.10.2011, S. 36.
  • N.N.: 900 Seiten, enträtselt und hörbar gemacht. In: die tageszeitung 28.11.2011, S. 17.

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