Originalhörspiel
Autor/Autorin:
Jürgen Becker
Häuser
Regie: Raoul Wolfgang Schnell
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Karin Buchali Sigrun Höhler Maria Krasna Elisabeth Opitz Gisela Sauer Herbert Fleischmann Wolfgang Forester Kurt Lieck Alwin Joachim Meyer Wolfgang Peau Matthias Ponnier Heinz Schacht
Wer Jürgen Beckers Prosa genau gelesen hat, wird sie auch gehört
haben; denn wie sie geschrieben ist, so ist sie auch gesprochen: Von
einer Vielzahl von Stimmen, die freilich weniger mit bestimmten
Figuren identisch, sondern Äußerungen eines aufgelösten Bewusstseins
sind. Der Schritt von seinen Texten ins Medium des Hörspiels ist für
Jürgen Becker darum nur zwangsläufig: Die Stimmen verselbständigen und
konkretisieren sich: Sie konstituieren einen Zusammenhang sprachlicher
Verhaltensweisen. Die drei Hörspiele von Jürgen Becker entsprechen
dabei keinem dramaturgischen Muster; sie sind weitere Beispiele seiner
offenen, unbestimmten, freien Schreibweise und zugleich stehen sie für
die neuen Tendenzen ein, die das Hörspiel in der aktuellen Phase
seiner Geschichte eingeschlagen hat. So werden in diesen Radiostücken
keine Fälle dramatisiert, keine Geschichten in die akustische Szene
übersetzt; sie demonstrieren vielmehr einen Kontext von Redensarten
und Sprechweisen, die allein von bestimmten thematischen Impulsen
gesteuert werden.
Die Stimmen, die in "Häuser" vorkommen, sind überall denkbar, wo
gewohnt, geschlafen, gebaut, umgezogen, eingerissen, renoviert, der
Besitz gewechselt, der Rasen gemäht, der Keller aufgeräumt, der
Nachbar nicht mehr gegrüßt, ein Hausfreund beobachtet, ein Brand
gelegt und weiter alles gemacht und getan wird, was mit Hausbesitz,
Hausordnung, Hausfriedensbruch, Hausherren, Hausfrauen und Häusern zu
tun hat. Nicht anders als in seinen "Feldern" und "Rändern"
demonstriert Jürgen Becker damit zeitgenössische Denk- und
Lebensweisen: Mit ihren Verdrängungen und Illusionen, in ihrem
restaurierten Status, in ihrer blinden Ideologie, in ihrer Hoffnung
auf Veränderung und Erneuerung.
"Der Leser liest, der Hörer hört Stimmen, Gespräche, Rufe, Gerede, Sprüche, Slogans, Beschreibungen, Fragen, Feststellungen, Anweisungen, Anforderungen, Aufzählungen, Schreie, und dies alles stellt einen Zusammenhang her, in dem von Ferienhäusern, Landhäusern, Kaufhäusern, Hochäusern, vom Hausbesitz, Hauswart, Hausfriedensbruch, von der Hausordnung und Hausgemeinschaft, von Hausfreunden, Hausfrauen und Hausherren die Rede ist, und das heißt zugleich: die Stimmen artikulieren die Umgebung, in der wir uns eingerichtet haben, der wir täglich ausgesetzt sind, die unsere Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Illusionen, Erinnerungen, Konflikte, Entfremdungen, Aggressionen, Sentimentalitäten, unsere Art zu leben bestimmt" (Jürgen Becker)
Weitere Informationen
Jürgen Becker, 1932 in Köln geboren, zog 1939 mit seiner Familie nach Erfurt, wo er die Kriegsjahre verbrachte; nach dem Abitur ging er 1950 nach Köln zurück und wurde Mitarbeiter des WDR, Lektor im Rowohlt-Verlag, freier Schriftsteller, dann Leiter des Suhrkamp-Theaterverlags, schließlich Leiter der Hörspielabteilung im Deutschlandfunk. Mit den Büchern »Felder« (1964) und »Ränder« (1968) trat er erstmals literarisch hervor. Seine Prosa vermied alle liebgewordenen Gewohnheiten und zog sich radikal zurück auf die Bestandsaufnahme des Wahrnehmbaren oder, strenger, auf die Sprache selbst. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Georg-Büchner-Preis. (Pressetext von 2014 anlässlich der Wiederholung beim hr)
Produktions- und Sendedaten
- Westdeutscher Rundfunk / Süddeutscher Rundfunk / Südwestfunk 1969
- Erstsendung: 08.10.1969 | 44'56
Veröffentlichungen
- Schallplatten-Edition: Deutsche Grammophon/Luchterhand Verlag 1973