Originalhörspiel

Autor/Autorin: Ferdinand Kriwet

One Two Two

Hörtext V

Regie: Ferdinand Kriwet

  • Weitere Mitwirkende

    Sprecher/Sprecherin
    Maria Barring
    Wiltrud Fischer
    Marlies Spohr
    Helga Zeckra
    Harry Bong
    Bernd Kolarik
    Günter Lampe
    Hans Christian Rudolph
    u.a.

Zu "ONE TWO TWO" schreibt Ferdinand Kriwet: "Hörtexte verwenden theoretisch alle Möglichkeiten der menschlichen und auch künstlichen Stimmerzeugung sowie alle elektrotechnischen Möglichkeiten ihrer Analyse und Synthese mittels Aufnahme, Transformation und Montage. Neben unterschiedlichen Aufnahmepraktiken und der Verwendung spezieller Mikrophone sind vorläufig Schnitt und Mischung die in meiner Arbeit dominierenden Praktiken. Parallel mit der fortschreitenden Konservierung von Lautsprache und ihrer allgegenwärtigen Reproduktion mittels Tonband, Schallplatte und Rundfunk erfolge eine von den optischen Bildträgern schließlich zusätzlich geförderte und beschleunigte Verminderung der menschlichen Fähigkeit zum spontanen Sprechen und ergo Denken, wovor Hans G. Helms schon in 'Faim' Ahniesgwow' graute ('nur noch Maschinen werden ticken'). Spezifische Eigenheiten des Gesprächs als der Vollform des Sprechens (Kainz) wurden von den neuen Idiomen der elektrischen Kommunikation verdrängt oder vollends ersetzt. Ein Hinweis unter vielen mag hierauf die bloß rhetorische Forderung vieler politischer Demonstranten nach Diskussion sein, der vielleicht die Sehnsucht nach den verlorenen Fähigkeiten des sprachlichen Kommunizierens innewohnen mag. Musikalisch gedopt entsteht seit Jahren im Beat und Rock ein der neuen Kommunikation entsprechendes Idiom, das neben phänomenologischem auch soziologisches Interesse beansprucht. Die Polarität von spontaner und technisch konservierter Sprache in allen Erscheinungsweisen ist ein Thema von "ONE TWO TWO". Daher wurde vor der endgültigen Montage meines V. Hörtextes ein Großteil seiner Materialien in einer öffentlichen Veranstaltung von Sprechern und über Band vorgestellt und samt allen Reaktionen in einem Übertragungswagen zur späteren Verwendung aufgezeichnet. So ist eine authentische Kontrastierung und Korrespondenz gleicher Materialien in zweierlei Realisation möglich: Hier zeitgebunden live und dort (im Studio) zeitunabhängig vorproduziert. Ein zweites 'Thema' bilden außer den fälschlich so genannten 'vorsprachlichen' Artikulationen (atmen, keuchen, stöhnen, husten, lachen etc.) solche S P R E C H typen, die sich durch ihre allgemeine Vertrautheit für eine zweckfreie literarische Demonstration vorteilhaft eignen wie z.B. das Zählen, das Aufzählen, das Abzählen, das Ver- oder Erzählen, das Buchstabieren, das Fragen und Antworten samt ihren charakteristischen phonetischen Eigenschaften. Soweit sie von diesen Sprechformen nicht bedingt werden, habe ich keine grammatischen Konstruktionen komponiert, da diesen im Bereich der Schriftsprache eine ausgeprägtere und ergo kompositorisch relevantere 'Bedeutung' zukommt. Zwischen den beiden genannten Themen vermittelt als drittes gespeichertes, teils eindeutig historisches (z.B. Hitler-Rede), teils rein phänomenologisches Material aus dem Schallarchiv des Rundfunks. Dieses Material wird sowohl als live-Mitschnitt als auch als studio- oder funkeigen Manipuliertes verwendet." 

Über ONE TWO TWO schreibt epd vom 12.3.1969 u.a.: "Die Funktion solcher polyphonen literarischen Texte sieht Kriwet in 'Training und Aufklärung'. Der Laut-Terror ist nur scheinbar, die Anpassung an die Mixed Media unserer Welt ist noch nicht gefunden. Hören wir den Hörtext V daraufhin ab, so überwiegen zwar die rein lautlichen Collagewirkungen, sie bekommen jedoch schon informative Funktion durch ihre Gruppierung. Die Wörter ,Geist' und ,Herr' werden in ihrer Verzerrung durch kleinste Hitlerreden-Satzteilchen mit der religiösen Praxis konfrontiert; es gibt die Klischee-Kreise Weihnachten, Vaterland, Heim und Mutter bis Kommen ('O kommet, o kommet nach Bethlehem' / ,O komm ...') als erotische Einladung ('Kommen Sie doch herein!'). Klischee-Aufdeckung detailliert, unterbrochen von Beat oder chorischen Zitaten, gereiht bis übereinander montiert, zum Ganzen höchstens durch den wachen Hörer selber multipliziert. Aber es gibt da Momente (aktuelle Anti-Demonstrations-Redefetzen - 'Herrherrherr'), die als plötzliche Erhellung erweiterten Informationswert bekommen. Das assoziative Hören könnte, scheint es sekundenweise, durch gezielte Phono-Montage in ein neues kritisches Bewusstsein der Gegenwart überführt werden. Erziehung zur Laut- und Sprachkritik als Umweltkritik. Die noch nicht voll erkundete Form solcher Hörtexte als 'Partitur' schafft gleichzeitig einen musikalisch-rhythmischen Raum; hier ergeben sich Spannungsmomente ganz anderer Art. Das Erkennen von Informationsspots tritt zurück, und im Idealfall wird unterschwellig die wortlose Verständigung erreicht, die den Hörer selbst produktiv macht."

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel

Produktions- und Sendedaten

  • Westdeutscher Rundfunk / Sender Freies Berlin 1968
  • Erstsendung: 06.03.1969 | WDR 3 | 29'05

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