Hörspielbearbeitung
Autor/Autorin:
Peter Weiss
Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade
Vorlage: Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade (Theaterstück)
Bearbeitung (Wort): Bernhard Rübenach
Komposition: Hans-Martin Majewski
Bearbeitung (Musik): Wolfgang Wölfer
Technische Realisierung: Ludwig Groß, Roswitha Jäckle, Christa Grune-Wild
Regie: Bernhard Rübenach
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Günther Ungeheuer Marat Kurt Lieck de Sade Otti Schütz Simonne Evrard Giselheid Hönsch Charlotte Corday Balduin Baas Duperret Hans-Helmut Dickow Jacques Roux Ludwig Thiesen Ausrufer Heinz Schimmelpfennig Sänger Josef Meinertzhagen Sänger Alexander Malachovsky Sänger Hanne Wieder Sänger Heinz Schimkat Marats Lehrer Ellen Widmann Seine Mutter Heinz Rabe Sein Vater Anneliese Benz Patientin Ute Remus Patientin Ellen Xenakis Patientin Robert Rathke Patient Hans Röhr Patient P. Walter Jakob Coulmier, Direktor der Anstalt
Das Bühnenstück, das nach der Uraufführung in Berlin im Jahr 1963 den Autor schnell international berühmt machte, geht von einer beglaubigten, wenn auch lange kaum mehr beachteten historischen Situation aus. Ein Jahrzehnt nach dem Ausbruch der Französischen Revolution veranstaltet in der Irrenanstalt von Charenton der berüchtigte Marquis de Sade, der auch hier eingewiesen war, mit den Insassen Theatervorstellungen. Ob man sich dadurch Heilungen versprach (Möglichkeiten dieser Art wurden damals zum erstenmal diskutiert), oder ob der Marquis auf diese Weise nur seinen Stücken eine Aufführungsmöglichkeit verschaffen wollte, die ihm die Pariser Bühnen versagten, – jedenfalls waren die Veranstaltungen mit Zustimmung des Direktors sogar öffentlich, und es fanden sich dazu Damen und Herren der feinsten Gesellschaft ein. Der Marquis hatte zu dieser Zeit langst einen üblen Ruf, und daß seine Lebensführung noch skandalöser war als die von vielen seiner Standes- und Zeitgenossen, ist kaum zu bezweifeln. Daß aber seine Schriften nicht nur Produkte einer abwegig zügellosen erotischen Fantasie sind, sondern daß mit ihnen das Postulat, die Kunst dürfe auch das Schaudererregendste darstellen, zum erstenmal mit voller Konsequenz erhoben wurde, und de Sade damit als einer der bedeutendsten Anreger der Moderne gelten muß, sprach schon 1843 Frankreichs berühmter Kritiker Sainte-Beuve aus. Die Schilderungen de Sades gipfeln in der Darstellung des "Übermenschentums im Bösen" – das ist seine "Aktualitat" für das 20. Jahrhundert und für den Dramatiker Peter Weiss die Legitimation, ihn zum Darsteller eines Individualisten zu machen, der die Revolution in allen ihren grandiosen wie fürchterlichen Erscheinungen zugleich bejaht und verhöhnt. Sein Gegenpol in der Aufführung, die im Stück von Peter Weiss der Marquis de Sade mit Geisteskranken als Schauspielern inszeniert, ist Marat, einer der fanatischsten Führer der Revolution. Ursprünglich Physiker und Arzt, bereitete er mit seinen politischen Schriften den Umsturz vor und wurde dann als Präsident des Jakobinerclubs durch die demagogische Gewalt seiner Reden der Schrecken seiner Gegner. Das Bildnis, das Louis David nach seiner Ermordung malte, wurde auf einem Altar öffentlich ausgestellt. Es gehört heute zu den Schätzen des Musée Moderne in Brüssel und zeigt den Ermordeten mit klaffender Wunde in der Badewanne sitzend, in der er Linderung der Qualen einer Hautentzündung suchte und seine letzten Aufrufe verfaßte.
Peter Weiss hat sein Stück, dem von kompetenten Beurteilern der Rang des "ersten bedeutenden Bühnenwerks eines Deutschen seit Brechts Tod" zuerkannt worden ist, ursprünglich als Hörspiel entworfen. Doch würde diese Tatsache allein, die bisher wenig Beachtung fand, nach den zahlreichen Aufführungen auf deutschen und ausländischen Bühnen, dem (auf der Londoner Theaterinszenierung basierenden) Film, der Schallplattenaufnahme (einer Vorstellung des Theaters in Rostock) und der Sendung im Deutschen Fernsehen wohl kaum mehr die Darbietung in einer Funkfassung rechtfertigen, wenn das Medium, das der Autor bei der Konzeption seines Werkes kannte, inzwischen nicht durch die stereophone Technik um eine neue Dimension seiner Ausdrucksmöglichkeiten bereichert worden wäre. Nicht nur bietet der Text in seiner szenischen Konzeption eine besonders geeignete, ja geradezu ideale Vorlage für eine Aufnahme in stereophoner Technik, indem die Einheit des Orts der Handlung von Anfang bis Ende gewahrt bleibt und in diesem Raum die Positionen der Handelnden, bzw. ihre Stellungsveränderungen nicht willkürlich, sondern durchaus durch dramaturgische Funktionen bestimmt sind. Vielmehr darf erwartet werden, daß der gedankliche Gehalt, Thema und Dialektik des Werks, das ja "zugleich Spektakel und Thesenstück" ist, gerade in einer Realisation, in der sie sich nicht gegen faszinierende szenische Wirkungen behaupten müssen, weil sie dem Auge nichts zu bieten hat, ihr ungeschmälertes Gewicht bekommen.
Produktions- und Sendedaten
- Bayerischer Rundfunk / Südwestfunk 1968
- Erstsendung: 07.02.1969 | Bayern 2 | 113'24