Hörspiel

Autor/Autorin: Martin Walser

Aus dem Wortschatz unserer Kämpfe

Regie: Martin Walser

  • Weitere Mitwirkende

    Sprecher/SprecherinRolle/Funktion
    Matthias Fuchs1. Sprecher
    Hans Caninenberg2. Sprecher
    Herbert Mensching3. sprecher
    Lutz SchulzeAnsager der Titel
    Carmen Renate KöperMädchen
    Alwin Michael RuefferHerr
    Michael DegenJunger Mann
    Louise MartiniFrau auf dem Sockel

Martin Walser zu seinem Hörspiel: "Obwohl in der Mehrzahl dieser Szenen jeweils nur einer spricht, handelt es sich nicht um Monologe. Es sind immer Dialoge bei denen einfach der Partner fehlt. Der Partner kommt jeweils in den Redewendungen des Sprechenden vor. Der fehlende Partner ist als Adressat vorhanden. Der fehlende Partner fehlt also nicht: Der Zuhörer ist der fehlende Partner. Diese Szenen wenden sich direkt an den Zuhörer. Die Sprache dieses Dialogs mit dem Zuhörer ist keine persönliche Sprache einer speziellen Handlung oder charakteristischen Atmosphäre. Es kommen hauptsächlich die Sätze vor, die fix und fertig vorhanden sind in unserer Sprache. Und das ist das Erstaunliche. Wenn man einmal den Vorrat an Sätzen mustert, die aus Kampferfahrungen stammen, dann sieht man, wie es zugegangen ist in den letzten sechs- oder achthundert Jahren. Wie viele Wendungen des Hohns, der Gemeinheit, der flehentlichen Unterwerfung, des schneidenden Übermuts, der hoffnungslosen Unterlegenheit liegen gebrauchsfertig in unserem Wortschatz vor! Wie viele Misshandlungen müssen stattgefunden haben. Inzwischen ist uns das bewusst geworden. Wir beginnen mit diesen Formeln zu spielen. In der Szene, in der die Zeugen vor Gericht eine Misshandlung schildern, zeigt sich, wie wir jetzt mit solchen Formeln spielen, anstatt einzugreifen, um den Verlauf zu ändern. Auch die zwei, die sich darüber unterhalten, wie sie gerade einen fertig gemacht haben, sind höchst sensible Menschen: Die Sprache bietet den beiden eine Menge Formeln an, in denen sie ihre Sensibilität feiern können und davon reden können, dass sie sehr darunter leiden, einen fertig gemacht zu haben. Die Fragen und Antworten am Ende sind der Versuch, dieses Ungenügen der Sprache zu denunzieren. Die Sprache wird denunziert als das total Wendige, Plastische, Anpassungsfähige: Sie nimmt alle auf, bildet alles ab, steht zur Verfügung für jeden Gebrauch, auch für den Gebrauch des Gebrauchs, für jede noch so raffinierte Aufhebung der Aufhebung der Aufhebung. Das heißt wohl: Es genügt nicht, sich keusch und fein von den Sachen zurückzuziehen und die Sprache sprechen zu lassen ... Letzten Endes ist der Anlass zu diesen Szenen das schlechte Gewissen dessen, der sich auf die Sprache angewiesen sieht und sich damit nicht mehr begnügen will."

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel

Produktions- und Sendedaten

  • Westdeutscher Rundfunk 1969
  • Erstsendung: 22.10.1969 | WDR 1 | 53'36

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