Hörspielbearbeitung
Autor/Autorin:
Franz Kafka
Der Process (5. Teil)
enthält:
- Der Onkel/Leni
- Als sie aus dem Theater traten
Vorlage: Der Process (Romanfragment)
Bearbeitung (Wort): N. N.
Redaktion: Herbert Kapfer, Katarina Agathos
Technische Realisierung: Andreas Meinetsberger
Regie: Klaus Buhlert
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Samuel Finzi Corinna Harfouch Jeanette Spassova Thomas Thieme Milan Peschel Manfred Zapatka Rufus Beck Jürgen Holtz
1925, ein Jahr nach Kafkas Tod erschien im Berliner Verlag Die Schmiede der "Roman" "Der Prozess". Die Zusammenstellung dieser Erstausgabe besorgte Kafkas Freund Max Brod. Mit ihrer Veröffentlichung "avancierte Kafka zum Romancier mit Weltruhm" (Roland Reuß). "Der Process" aber ist Fragment geblieben. Kafka hinterließ eine nicht nummerierte, auf 16 Konvolute verteilte Handschrift. Doch dies hat bei einer breiten Leserschaft die Wahrnehmung eines geschlossenen Werks mit Anfang, Mitte und Ende nicht verhindert. Die Editionsgeschichte des "Romans" steht exemplarisch für Rezeptionsgewohnheiten und Erwartungen an Literatur. Mit der Wandlung solcher Konventionen und Haltungen eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Anerkennung offener literarischer Strukturen, komplizierter Entstehungsgeschichten und Schreibprozesse. Editionspraxis und Textforschung in Bezug auf Kafkas Werk veranschaulichen dies deutlich. Die BR-Hörspielproduktion "Der Process", die in ihrer Textgrundlage von den Handschriften Kafkas bzw. ihrer Umschrift ausgeht und sich auf die historisch-kritische Ausgabe des Verlags Stroemfeld/Roter Stern stützt, versteht sich als eine Auseinandersetzung mit dem Fragment gebliebenen Werk.
Weitere Informationen
Josef K. wird der Prozess gemacht. Er weiß nicht wofür, jemand muss ihn verleumdet haben. Und dennoch akzeptiert K. die Sachlage. Er erkennt die beiden Wächter, die ihn in Gewahrsam nehmen wollen, als Autoritäten findet sich sogar ein zweites Mal unaufgefordert zum Verhör ein. Er will dem undurchdringlichen Gerichtswesen auf den Grund gehen und sucht fachkompetente Unterstützung beim Advokaten Huld, der Frau des Gerichtsdieners oder dem Gerichtsmaler Titorelli. Im Verhör beschimpft Josef K. das Gericht als Instanz absoluter Sinnlosigkeit und trifft damit womöglich seinen Kern und im selbstbetriebenen Fortgang des Prozesses verwirklicht sich schließlich ein Gesetzt, das nicht die Schuld sucht, sondern von ihr angezogen wird. Josef K. macht sich selbst den Prozess, stellt sich - dem Autor nicht unähnlich - unter einen Generalverdacht der Schuld. Am Ende fällt K. diesem Prozess zum Opfer und willigt in die Exekution ein.
Schon eine kurze Handlungszusammenfassung läuft Gefahr, eine Erzählung linear und chronologisch-kausal nachvollziehbar zu machen, die für den Leser gerade gegensätzliche Erfahrungen bereit hält, nämlich Unauflösbarkeit von Leerstellen und Offenheit von Sinn. Noch weniger trägt sie der Entstehung des Werkes Rechnung, die weit entfernt ist von einer systematisch-linearen Vorgehensweise des Autors. Kafka hatte bei der Niederschrift zwar den Rahmen abstecken wollen, doch der Schreibprozess, der sich zwischen August 1914 und Januar 1915 erstreckte, verlief nie stringent. Der Autor arbeitete parallel an mehreren Kapiteln, schrieb unregelmäßig in verschiedenen Heften gleichzeitig und sortierte die einzelnen Textteile immer wieder in neue Konvolute um, ohne dabei eine verbindliche Reihenfolge festzulegen. Eine ebenso radikale wie überzeugende Umgangsform mit den Manuskripten fanden 1997 Roland Reuß und Peter Staengle in der historisch-kritischen Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte im Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Dem Fragmentcharakter des Werkes und dem Schriftbild mit zahlreichen Korrekturen Rechnung tragend, werden die handschriftlichen Manuskriptseiten neben ihre typographische Umschrift gestellt und die überlieferten Konvolute als solche, nämlich in separaten Heften ohne endgültige Abfolge, publiziert. Diese Edition und ihr Konzept, die Variabilität eines Werkes transparent zu machen, ist Ausgangspunkt der BR-Hörspielproduktion, die sich dementsprechend nicht als Adaption oder Dramatisierung begreift.Insgesamt acht Schauspieler stellen sich mit ihren Interpretationen den Herausforderungen dieses Projekts. Reduktion und Konzentration der audiokünstlerischen Mittel sollen die Eigenarten des kafkaschen Stils und seiner Sprache hörbar machen. Wie bei den handschriftlichen Manuskripten und ihrer Edition im Medium Buch, so vermitteln sich in den akustischen Lesarten sprachliche Suchbewegungen. Der zwangsläufig linearen Anordnung der einzelnen Teile in der Sendung steht der Download im Hörspiel Pool gegenüber. Das Konzept, 16 files ohne eine eindeutige Reihenfolge anzubieten, entspricht dem der Ausgabe im Verlag Stroemfeld.

Produktions- und Sendedaten
- Bayerischer Rundfunk 2010
- Erstsendung: 30.12.2010 | Bayern 2 | 20:30 Uhr | 55'24
Veröffentlichungen
- CD-Edition: Der HörVerlag 2011
Auszeichnungen
- Hörspiel des Monats Dezember 2010
- hr2-Hörbuchbestenliste Februar 2011 (1. Platz)
Rezensionen (Auswahl)
- Helmut Hein: Irgendjemand musste Josef K. verleumdet haben. In: Mittelbayerische Zeitung 03.01.2011, S. 20.
- Elmar Krekeler: Ein Roman kommt zum Verhör. In: Welt am Sonntag 16.01.2011,
- Eva-Maria Lenz: Totalitäre Ausweglosigkeit. In: epd Medien 21.01.2011, S. 34.
- N.N.: »Der Process« Hörspiel des Monats Dezember. In: Funkkorrespondenz 21.01.2011, S. 27.
- Alexandra Kournioti: Das Geheimnis um Kafkas berühmten Romananfang. In: Bayerische Staatszeitung 04.02.2011.
- N.N.: Kafka wider den Kanon. In: Neue Zürcher Zeitung 04.02.2011, S. 1 (bezieht sich auf die CD-Edition).
- Hildegard Lorenz: Viele Stimmen für Josef K. In: Münchner Merkur 06.04.2011, S. 16.
- Jochen Hieber: So haben wir Kafka nie gehört. In: Frankfurter Allgemeine, 30.12.2010, S.33
- Stefan Fischer: Kafka-Dateien. Alles ist Sprache und Stimme: "Der Proceß" als Radiopuzzle. In: Süddeutsche Zeitung, 23.12.2010, S.15