Originalhörspiel

Autor/Autorin: Gesine Schmidt

Die Nutznießer

Arisierung in Göttingen

Dramaturgie: Michael Becker
Technische Realisierung: Manuel Glowczewski, Birgit Gall
Regieassistenz: Anne Abendroth

Regie: Giuseppe Maio

  • Weitere Mitwirkende

    Sprecher/SprecherinRolle/Funktion
    Swetlana SchönfeldtGrete Löwenstein
    Michael PrelleLudwig Löwenstein
    Wolf-Dietrich SprengerMax M. Hahn
    Peter MaertensMax Raphael Hahn
    Ben HeckerOskar Schubert
    Gustav Peter WöhlerAlbert Gnade
    Barbara NüsseStimme 3
    Anjorka StrechelStimme 1 (An- und Absage)
    Toni JessenStimme 4
    Horst KotterbaStimme 5
    Sebastian RudolphStimme 2
    Sonstige MitwirkendeFunktion
    Margrit RohrbachBürgerin der Stadt Göttingen
    Wolfgang RohrbachBürger der Stadt Göttingen
    Renate FlöringBürgerin der Stadt Göttingen
    Monika ZachariasBürgerin der Stadt Göttingen
    Eveline KöpkeBürgerin der Stadt Göttingen
    Reinhard WiesnerBürger der Stadt Göttingen

"Die Nutznießer" ist eine komplexe Montage von unterschiedlichsten Dokumenten zur schrittweisen Vertreibung der Juden in Göttingen in den 1930er Jahren bis 1941 (und der mühsam bis unbeholfenen "Wiedergutmachung" in den 1950er und 1960er Jahren). Die ausschließlich "offiziellen" Akten, Briefwechsel, Verlautbarungen, Direktiven, Transkriptionen von Zeugenaussagen sowie von Befragungen aus den 1980er Jahren, etc. rekonstruieren minutiös Prozesse im Kleinen - in der Region Göttingen-Hannover-Braunschweig-Hildesheim -, die so wahrscheinlich überall im Dritten Reich passierten. Gesine Schmidt verknüpft dabei symptomatische Einzelschicksale dreier Familien von jüdischen Kaufleuten: Die Brüder Jacobson, mit zwei kleinen Geschäften; die sehr erfolgreichen Hahns, die eine Fabrik führen; sowie die Löwensteins, die eine Fleischerei betreiben. Die Dramaturgie der Anordnung aller Schriftwerke, die immer multiperspektivisch organsiert sind, macht in erschütternder Genauigkeit begreifbar, wie sich diese Familien nicht nur zum Auswandern gezwungen sahen oder deportiert wurden, sondern planmäßig und "gerissen" um ihr Eigentum gebracht wurden - es wurde abgepresst, gestohlen oder unter Wert abgekauft. Ein gewaltiges Geschäft, sowohl für den Nazistaat als auch für viele deutsche Privatleute. Es ist auch ein Kampf der Sprachen. Die objektivistische und so erschreckend "pragmatische", deutsche Protokoll-Sprache und die aus dem Mündlichen transkribierte. In der Fallhöhe dazwischen kann etwas sehr Hörspiel eigenes entstehen. Entscheidend ist, dass man eine historische Entwicklung, die man schon zu kennen glaubt, hier nochmal auf eine zeitgemäße Weise erzählt bekommt: denn wo man vor 20 Jahren Zeitzeugen selbst befragt hätte, muss man sich heute schon auf Archiv-Dokumente beziehen. Allen Texten in "Die Nutznießer" haftet dieser Archiv-Geruch an, alles riecht nach Aussage, nichts davon ist rein privat, kein objet trouvé, obwohl existentielle Dramen erzählt werden. Ein System des Terrors hat sich selbst dokumentiert.

Weitere Informationen
Gesine Schmidt, geb. 1966, arbeitete nach ihrem Studium der Komparatistik, Germanistik und Theaterwissenschaft als Dramaturgin an verschiedenen Theatern, u. a. am Berliner Ensemble, am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater Berlin. Seit 2009 lebt sie als freie Autorin von Stücken und Hörspielen in Berlin. Bisherige Hörspiele: "Der Kick" mit Andres Veiel (RBB/SWR 2005, Robert-Geisendörfer-Preis 2006), "liebesrap" (DLF 2010, Prix Marulic 2011) "Oops, wrong Planet" (DLF/WDR 2012, Hörspielpreis der Kriegsblinden 2013) sowie "Expats" (DLF 2013). Uraufführung des Theaterstücks "Die Nutznießer" war im Januar dieses Jahres am Deutschen Theater Göttingen.

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel

Produktions- und Sendedaten

  • Norddeutscher Rundfunk 2017
  • Erstsendung: 03.01.2018 | NDR 2 | 84'23

Rezensionen (Auswahl)

  • Angela di Ciriaco-Sussdorf: Arisierungspolitik. In: Medienkorrespondenz vom 26.1.2018. S. 46.

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