Hörspielbearbeitung

Autor/Autorin: Joris-Karl Huysmans

Zutiefst da drüben (2. Teil: Docre)

Vorlage: Là-bas (Roman, französisch)
Bearbeitung (Wort): Michael Farin
Komposition: Franz Hautzinger
Redaktion: Herbert Kapfer
Technische Realisierung: Boris Wilsdorf

Regie: Michael Farin

  • Weitere Mitwirkende

    Sprecher/Sprecherin
    Melika Foroutan
    Jens Harzer
    Ulrich Noethen
    Udo Schenk
    Joachim Witt

Zweifelsohne, er ist der ungekrönte König des Fin de Siècle: Joris-Karl Huysmans (1848-1907), Autor von A rebours, der "Bibel der Dekadenz" (1884; deutsch zumeist unter dem Titel Gegen den Strich). Held des Romans ist Jean Floressas Des Esseintes, ein gänzlich dem Ennui ergebener, neurasthenischer Empfindsamer, oder, wie Mario Praz ihn nennt, ein "dekadentes Ungeheuer". Um der Grobschlächtigkeit und dem Mittelmaß seiner Zeit zu entgehen, flüchtet er sich in eine von ihm selbst erschaffene künstliche Welt grandioser Ausschließlichkeit. "Damit ein Décadent dieses Ausmaßes entstehen und ein solches Buch wie das von Huysmans in einem menschlichen Hirn keimen konnte, war es freilich notwendig, dass wir zu dem wurden, was wir sind: ein Geschlecht in seiner Todesstunde." (Barbey d'Aurevilly) Wenige Jahre später schickt Huysmans sein Alter Ego, den Schriftsteller Durtal, im Roman Là-bas (1891; deutsch zumeist Tief unten) auf eine noch gnadenlosere Reise, diesmal mitten ins Herz des Bösen, ins Schwarze Reich. Durtal arbeitet, Roman im Roman, an einem Buch über Gilles de Rais (1404-40), Kampfgefährte Jeanne d'Arcs, zugleich aber auch Kindermörder und Urbild des Blaubarts, und gerät dabei unversehens in die tiefsten Tiefen des Satanismus, in ausweglose Gottesferne. Am Ende sind beide Gescheiterte: Während Des Esseintes in der selbstgewählten Isolation seiner Kunstwelt fast zerbricht, versinkt Durtal im Wahnwitz mittelalterlicher Alchemie und in einer Welt sadistischen Mordes. Gemeinsam ist ihnen: von einer Frau besessen zu sein. Des Esseintes von einer Kunstfigur, Gustave Moreaus Salomé, jener Urheberin eines ungeheuerlichen Verbrechens, Durtal wiederum von Hyacinthe Chantelouve, einem, wie sie sich selbst nennt, Nachtweibchen, einem Succubus. Die überaus engen Kontakte dieser rätselhaften, fiebrigen Person zum sagenumwobenen, den Satanskult zelebrierenden Kanonikus Docre führen Durtal geradewegs in die ihn zutiefst verstörenden Ausschweifungen einer Schwarzen Messe. Zwar sucht er, Hyacinthe mit sich reißend, dem allen zu entfliehen, gerät aber gerade dadurch unversehens in schändlichste Verstrickung.

"Im Grunde, schreibt Huysmans einmal, sei niemand so obszön wie der keusche, der christliche Mensch. Denn in der Tat weiß jedermann, dass gerade die Enthaltsamkeit höchst ausschweifende Gedanken hervorbringt. Sind aber dessen Träume einmal geweckt, so dringt er, nicht ausschließlich nur im Geiste, vor bis an die Grenzen des orgiastischen Wahns. Der Ablauf ist dann immer der gleiche: Bilder steigen auf, nackte Leiber bieten sich dar - doch schlagartig tritt der sogenannte natürliche Akt in den Hintergrund. Wie wenn er zu nichtig wäre. 'Ein Hang zum Widernatürlichen der Unfläterei' tritt hervor, jenseits der Zuckungen. Und wenn dann, während dieses überaus beunruhigenden Zustandes der Sinne, wie zufällig die Wirklichkeit, ein leibhaftiger Mensch, Hyacinthe Chantelouve etwa, erscheint, gerät der Keusche, von seinen Träumen erschöpft, in Verwirrung. Ja, schreibt Huysmans, die Neurosen scheinen tatsächlich der Seelen Spalten zu öffnen, durch die dann der Geist des Bösen eindringt. Ein Zustand, der nie und nimmer in der Seele eines Ungläubigen entsteht! Dieser Vorgang ist vielmehr so alt wie die Kirche selbst und gipfelt im lästerlichen Hexensabbat." (Michael Farin)

Weitere Informationen
Joris-Karl Huysmans (1848-1907), eigentl. Charles Marie Georges Huysmans, französischer Schriftsteller. Nach der Schulzeit Arbeit als Angestellter im französischen Innenministerium. 1870 Militärdienst während des französisch-preußischen Krieges. 1974 Veröffentlichung eines ersten Gedichtbandes unter dem Künstlernamen Joris-Karl Huysmans. 1876 Bekanntschaft mit Emile Zola, mehrere naturalistische Romane entstehen. 1890 Mitbegründer der Académie Goncourt. Jahre der Sinnsuche, Kontakt mit okkultistischen Gruppen. 1899 Rückzug in ein Kloster. 1907 Tod nach langem Krebsleiden. Romane u.a. Marthe. Histoire d'une fille (1876, dt. Marthe. Geschichte einer Dirne), À rebours (1884, dt. Gegen den Strich), En rade (1887, dt. Auf Reede), Là-bas (1890, dt. Tief unten), En route (1895, dt. Vom Freidenkertum zum Katholizismus). Weitere Hörspieladaptionen u.a. Gegen den Strich (Deutschlandradio 2010), Monsieur Bougran in Pension (Deutschlandradio 2014).

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel

Produktions- und Sendedaten

  • Bayerischer Rundfunk 2017
  • Erstsendung: 17.08.2018 | Bayern 2 | 21:05 Uhr | 69'00

Rezensionen (Auswahl)

  • Stefan Fischer: Herzen der Finsternis. In: Süddeutsche Zeitung vom 09.08.2018. S. 31.

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