Originalhörspiel

Autor/Autorin: Alexander Kluge

Das neue Alphabet (1. Teil)

Bearbeitung (Wort): Karl Bruckmaier
Komposition: Jeb Loy Nichols, Antye Greie
Redaktion: Katarina Agathos
Technische Realisierung: Peter Preuß, Adele Kurdziel, Gerhard Wicho
Regieassistenz: Stefanie Ramb

Regie: Karl Bruckmaier

  • Weitere Mitwirkende

    Sprecher/SprecherinRolle/Funktion
    Pascal FliggMännlich 1
    Stefan MerkiMännlich 2
    Peter FrickeMännlich 3
    Sabine GietzeltWeiblich 1
    Katja BürkleWeiblich 2
    Helga FellererWeiblich 3

Die Wagenburg, wir kennen sie aus dem Western: In höchster Not und rasender Fahrt bilden die Gefährte der Siedler einen Kreis, um ihre provisorische Heimstatt auf vier Rädern in eine Festung zu verwandeln - ein verzweifelter Versuch durchzuhalten, bis Rettung naht. Denn gegen die Wagenburg brandet an das Fremde, Andere, Wilde. Die Wilden. Ihre Geschosse, ihr Geschrei, ihre schier endlose Zahl lässt das Blut der Siedler in den Adern gefrieren. Was sie mit sich schleppen gen Westen, die Zivilisation eines anderen Kontinents, ist in Gefahr und manchmal wird das Leben gelassen für drei Anzüge und eine Waschschüssel. Alexander Kluge spricht gern von der "Wagenburg der Subjektivität" und mit Das neue Alphabet fahren in kleinen Erzähleinheiten Lebensgeschichten auf, werden Anekdoten ausgebreitet, werden überraschende Verbindungen geknüpft, die in ihrer Gesamtheit - fein einander ablösend die Tragödie und die Komödie - ein ungemein scharfes Bild von einem bestimmten Thema, von einem bestimmten Zeitpunkt vermitteln können: als unsere Welt im Zuge der Digitalisierung aller Lebensbereiche wieder einmal eine andere werden musste. Doch für Kluge gibt es kein Müssen: Wieder und wieder wird eine letztlich poetische Kraft beschworen, die der "Geisterwelt der objektiven Tatsachen" etwas Uraltes, etwas zutiefst Menschliches entgegenzusetzen hat, eine Widerständigkeit des Erzählens - die uns temporär Schutz bieten kann vor den Algorithmen, mit denen Silicon Valley uns zu sehen und erkennen meint. Wir ahnen mit Kluge die insektenkalte KI dort draußen hinter dem Bildschirm, und schmutzen und rotzen und furzen und husten, was unsere Zellen hergeben, die eben nicht von elektrischen Schafen träumen, sondern von einer 37° warmen Urmeersuppe. Wir vertrauen mit ihm auf die Milliarden Jahre, die es gedauert hat, bis wir wurden, was wir sind, auf die Erfahrung unserer Körperzellen und unserer Seelen; wir halluzinieren Engel und mikroskopische Astronauten. Wir sehen Schnee brennen und Feuer gefrieren. Und wir finden in Alexander Kluge einen tröstenden Liebhaber und Freund, der selbst seit geraumer Zeit die Hand ausstreckt nach Kooperationspartnern wie Gerhard Richter, Ben Lerner, Thomas Demand, Anna Viebrock, Georg Baselitz, Reinhard Jirgl, Helge Schneider: die Kavallerie, sie ist unterwegs.

Weitere Informationen
Alexander Kluge, geb. 1932 in Halberstadt, Schriftsteller, Filmemacher, 1956 Promotion zum Dr. jur., 1962 Mitverfasser des Oberhausener Manifests und Gründung des Ulmer Instituts für Filmgestaltung. 1987 Gründung der Produktionsfirma dctp (Development Company for Television Program), als Plattform für unabhängige Programme im deutschen Privatfernsehen und Internet. Schriftstellerische Werke u.a. Chronik der Gefühle (2000), Verdeckte Ermittlung (2001), Die Lücke die der Teufel lässt (2003), Das Labyrinth der zärtlichen Kraft (2009), Nachricht von ruhigen Momenten (mit Gerhard Richter, 2013), Weltverändernder Zorn: Nachricht von den Gegenfüßlern (mit Georg Baselitz, 2017). Weitere BR-Hörspiele: Chronik der Gefühle (Adaption in 14 Teilen, 2009), Die Pranke der Natur und wir Menschen (2011), 30. April 1945 - Der Tag, an dem Hitler sich erschoß und die Westbindung der Deutschen begann (2015).

Karl Bruckmaier geb. 1956, Autor, Übersetzer, Radio-DJ, Hörspielregisseur. Weitere BR-Hörspiele u.a. Front Menschen im Kriegszustand (1989); Jedenfalls Krähen. Ein Hörspiel für Peter Weiss (2016); Regie u.a. bei den BR-Hörspielen Klänge (nach Wassily Kandinsky, 2016); Leben und Ansichten von Tristram Shandy Gentleman (von Laurence Sterne, 2015); Am Königsweg (von Elfriede Jelinek, 2017).

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel

Produktions- und Sendedaten

  • Bayerischer Rundfunk 2019
  • Erstsendung: 01.12.2019 | Bayern 2 | 15:00 Uhr | 48'39

Veröffentlichungen

  • CD-Edition: Der Hörverlag 2020

Rezensionen (Auswahl)

  • Stefan Fischer: Notorisch subjektiv. In: Süddeutsche Zeitung vom 29.11.2019. S. 31.
  • Florian Welle: Sirenen von heute. In: Süddeutsche Zeitung vom 13.10.2020, Literaturbeilage. (Zur CD-Edition)
  • Kira Kramer: Erzählsplitter als Gegenmittel . In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.11.2020. S. 10. (Zur CD-Edition)

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