Hörspielbearbeitung
Autor/Autorin:
Christopher Isherwood
Leb wohl, Berlin! (1. Teil)
Vorlage: Goodbye to Berlin (Roman, englisch)
Bearbeitung (Wort): Heinz Sommer
Komposition: Jörg Achim Keller
Redaktion: Hans Sarkowicz
Technische Realisierung: Ursula Potyra, André Bouchareb, Julia Kümmel
Regieassistenz: Cordula Dickmeiß, Miriam Brand, Leon Haase
Regie: Leonhard Koppelmann
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Christopher Nell Christopher Isherwood Mathieu Carriere Christopher Isherwood Laura Maire Sally Bowles Barbara Philipp Lina Schröder Matthias Bundschuh Bernhard Landauer Felix von Manteuffel Otto Braun Daniela Kiefer Fräulein Fritzi Mayer Lucie Heinze Natalia Landauer Ole Lagerpusch Bobby Ben Müchow Fritz Wedel Gisa Flake Fräulein Kost Linn Reusse Hippi Bernstein Udo Kroschwald Henri Friedhelm Ptok Hausmeister Margarita Breitkreiz Kommunistin Martin Engler Polizeipräsident Patrick Güldenberg Lawrence Wanja Mues Jacob Johanna Griebel Melanie Franziska Troegner Glaterneck Manolo Palma Reporter Christoph Pütthoff Zeitungsjunge
»I’m a camera. I am a camera with its shutter open.« Wie durch ein
Kameraobjektiv nimmt Christopher Isherwood die letzten Tage vor der
Machtergreifung in Berlin wahr. Sein genaues Zeitporträt ist ein bittersüßer
Abgesang auf eine untergehende Welt: das weltoffene, lebenshungrige,
sexuell freizügige, dekadente Berlin der 1920er und beginnenden 1930er
Jahre.
Isherwood porträtiert in seinen blitzlichtartigen Gesellschaftsminiaturen
Menschen, die er in und um die Pension des schrulligen Fräulein Schröder
trifft: junge Männer auf der Suche nach Lebens- und Liebesglück,
Künstlerinnen auf Abwegen, unter ihnen die verrückt leichtsinnige
Sally Bowles, sowie eine jüdische Familie aus der Berliner Hautevolee,
die in ihrem Lebenshunger die Augen vor dem nahendem Unglück
verschließt. Denn die Zeichen sind nicht mehr zu übersehen, die Nazis
gewinnen mehr und mehr Zustimmung in der Bevölkerung und im politischen
Machtzentrum der fragilen Weimarer Republik.
Die geschickte Bearbeitung von Heinz Sommer (zuletzt u.a. Homo Faber
und Tonio Kröger) verwebt dieses Kaleidoskop mit Zeitdokumenten:
Ausschnitten aus Filmtonspuren, Reden und Zeitungsmeldungen. So wird
das sehr persönliche Gesellschaftspanorama Isherwoods um eine politischhistorische
Dimension erweitert.
Dazu hat Jörg Achim Keller zusammen mit der hr-Bigband eine musikalische
Suite komponiert und aufgenommen, die vom zeitgenössischen
Schlager über Hot Jazz-Stilistiken bis zu Neutönendem diesen Tanz auf
dem Vulkan zu einem einzigartigen, geschlossenen Soundtrack verbindet.
Ein wunderbares Schauspielerensemble hat sich für die Umsetzung des
Stoffes unter der Leitung von Leonhard Koppelmann zusammengefunden,
um diesen emotionsprallen Stoff zum Leben zu erwecken – unter anderen
mit Christopher Nell (als der junge Christopher Isherwood), Mathieu
Carrière (als sein älteres Autoren-Alter-Ego), Laura Maire (als Sally Bowles)
und Barbara Philipp (als Fräulein Schröder).
Weitere Informationen
Christopher Isherwood wurde 1904 als Sohn eines Offiziers geboren. Sein
Vater fiel 1915 während der Zweiten Flandernschlacht des Ersten Weltkriegs.
Isherwoods privilegierte Kindheit führte ihn schon in jungen Jahren
mit W. H. Auden und Edward Upward zusammen. Später studierte er erst in
Cambridge Geschichtswissenschaft, wurde jedoch dort bald exmatrikuliert.
Auch das anschließende Medizin-Studium am King’s College in London
brach er bald wieder ab.
1929 folgte er seinem Freund, dem Schriftsteller W. H. Auden nach Berlin.
Beide waren fasziniert von der Atmosphäre, dem Tempo und der Schwulenszene
der Stadt – »Berlin ist der Traum eines jeden Schwulen«, schrieb
Auden damals, »Es gibt hier 170 von der Polizei überwachte einschlägige
Bars und Gaststätten.«
Isherwood sprach bald fließend Deutsch, und finanzierte so sein Leben in
Berlin als Sprachlehrer. 1930 zog er in die Nollendorfstraße 17 im Bezirk
Schöneberg, ganz in der Nähe des für seine Travestie-Shows bekannten
Tanzkabaretts Eldorado.
Sein Roman »Leb wohl, Berlin« aus dem Jahr 1939 begründete in England
seinen Ruf als literarisches Wunderkind und prägte im angelsächsischen
Sprachraum das Berlinbild der frühen 1930er Jahre. Die bekanntesten
Figuren des Romans waren seine Mitbewohner der Privatpension Thurau
in der Nollendorfstraße. 1931 lernte er dort Jean Ross kennen, die das
Vorbild für die Figur der kapriziösen Nachtklub-Sängerin und aufstrebenden
Schauspielerin Sally Bowles wurde. Die Vermieterin Meta Thurau wurde in
seinem Roman zu Lina Schröder, für Isherwood eine typische Berlinerin,
die sich trotz anfänglicher Ablehnung des Nationalsozialismus schließlich
mit dem System arrangierte. Die Motive seiner »Berlin Stories« wurden
zunächst für das Broadway-Theaterstück »I Am a Camera« (1951) und
den gleichnamigen Film (1955), dann für das Musical »Cabaret« (1966)
und schließlich 1972 für den Film »Cabaret« adaptiert.
Produktions- und Sendedaten
- Hessischer Rundfunk 2019
- Erstsendung: 03.10.2019 | hr2 | 72'36
Veröffentlichungen
- CD-Edition: Der Hörverlag 2019
Auszeichnungen
- hr2-Hörbuchbestenliste Dezember 2019 (Platz 4)
Rezensionen (Auswahl)
- Norbert Schachtsiek-Freitag: Ein Engländer in Berlin, 1931 bis 1933. In: Medienkorrespondenz Nr. 22. 25.10.2019. S. 54.
- Alexander Cammann: So klingt Untergang: Christopher Isherwoods »Leb wohl, Berlin« als Hörspiel mit Originaltönen der Zeit. In: DIE ZEIT vom 10.10.2019. S. 45. (Zur CD-Ausgabe)
- Stefan Fischer: Auf Wiedersehen, Übermut . In: Süddeutsche Zeitung vom 01.10.2019. S. 31.
- Wolfgang Schneider: Der Weimarer Republik wächst ein Winterfell. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.11.2019. S. 10.