Hörspielbearbeitung
Autor/Autorin:
Siegfried Lichtenstaedter
Der jüdische Gerichtsvollzieher
Vorlage: Der jüdische Gerichtsvollzieher (Kurzgeschichte)
Bearbeitung (Wort): Richard Oehmann
Komposition: Maria Hafner
Redaktion: Katja Huber
Technische Realisierung: Michael Krogmann, Adele Kurdziel
Regieassistenz: Stefanie Ramb
Musik: Maria Hafner, Andreas Stauber, Michel Watzinger
Regie: Richard Oehmann
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Christine Prayon Erzählerin Georgia Stahl Erzählerin Gerd Lohmeyer Morgenröte Richard Oehmann Justizminister Ercan Karacayli Baiersdorfer Heinz-Josef Braun Wowo Habdank Maria Hafner Nikola Norgauer Thomas Unger Gerhard Wittmann
„Darf ein Jude Gerichtsvollzieher werden?“ so fragt sich ganz Anthropopolis, eine beschauliche Großstadt im Großherzogtum Anthropopolitanien. Vom offenbar fahrlässig handelnden Justizminister hat tatsächlich ein Jude diesen Beamtenposten zugeschanzt bekommen. Da es aber nur einen einzigen solchen Posten im ganzen Land gibt, ist vor allem die völkische Presse besorgt, denn das Judentum besetzt ja nunmehr tatsächlich 100 % der Gerichtsvollzieherei. Ist dies die erste Etappe zur Weltherrschaft? Sein Wirken bringt dem neuen Gerichtsvollzieher schon bald vier Ermahnungen ein: Zwei, weil er beim Vollstrecken zu brutal, und zwei, weil er dabei viel zu nachlässig war. Die wackeren christlichen Anthropopolitanier sind jedenfalls entschlossen, dem Judentum den Posten schnell wieder zu entreißen, zur Not auch mit der Zusatzfrage: „Darf ein Junggeselle Gerichtsvollzieher sein?“
Ein bairisch-anthropopolitanisches Hörspiel, eine behagliche Antisemitismus-Satire nach einer Kurzgeschichte aus dem Jahre 1926 von Siegfried Lichtenstaedter. Der Historiker Götz Aly hat 2019 eine Sammlung von Lichtenstaedters Texten neu herausgegeben und mit Prophet der Vernichtung betitelt: um auf dessen erstaunlich weitsichtiges, reichhaltiges und mitunter auch komisches Werk aufmerksam zu machen, darunter auch die kurze Satire Der jüdische Gerichtsvollzieher. Lichtenstaedter parodiert darin die Hetze des Völkischen Beobachters und anderer Medien und verhöhnt zudem die Faktenverweigerung des angeblich so gesunden Menschenverstandes der christlichen Mehrheit. Überraschend ist die Leichtigkeit und Spottlust mit der Lichtenstaedter, nur ein paar Jahre vor der Machtergreifung, das Nazidenken veralbert und ganz nebenbei bereits die Parallele von Antisemitismus zu Antiislamisus markiert hat.
Weitere Informationen
Siegfried Lichtenstaedter (1865–1942), deutscher Verwaltungsjurist und Publizist. Studium der Orientalistik und Jurisprudenz, Oberregierungsrat in der bayerischen Finanzverwaltung in München, Autor zahlreicher politischer Analysen und Satiren, Publikationen unter den Pseudonymen Mehemed Emin Efendi, Ne'man und U.R. Deutsch. 1942 Deportation ins Ghetto Theresienstadt.

Produktions- und Sendedaten
- Bayerischer Rundfunk 2020
- Erstsendung: 23.05.2020 | Bayern 2 | 15:05 Uhr | 63'25