Originalhörspiel

Autor/Autorin: Bertolt Brecht

Der Lindberghflug

Radiophonische Kantate für Soli, Chor und Orchester

Komposition: Kurt Weill

Orchester: Orchester der Funk-Stunde
Musikalische Leitung: Hermann Scherchen

Chor: Berliner Funkchor
Chorleitung: Max Albrecht

  • Weitere Mitwirkende

    Sprecher/Sprecherin
    Betty Mergler
    Erik Wirl
    Fritz Düttbernd
    Gerhard Pechner
    Ernst Ginsberg

"Kurt Weills Kantane für Soli, Chor und Orchester, Text von Bert Brecht, zerfällt in fünfzehn Abschnitte. Sie beginnt mit einer Aufforderung an die amerikanischen Flieger, den Ozean zu überfliegen. Nachdem sodann der Flieger Charles Lindbergh vorgestellt ist, wird dessen Aufbruch in New York zu seinem Fluge nach Europa geschildert. Dann hört man, wie die Stadt New York die Schiffe befragt und Antwort empfängt. Fast während des ganzen Fluges hat der Flieger mit Nebel zu kämpfen, und in der Nacht gerät er in einen Schneesturm. Nachdem die schlimme Nacht vorüber, tritt die Versuchung zum Schlaf an ihn heran, die er jedoch bekämpft. Inzwischen geben alle amerikanischen Zeitungen der sicheren Hoffnung Ausdruck, daß der Flug glücken wird, und Lindberghs Gedanken selbst haben nur das eine Ziel: 'Ich muß ankommen!' Die französischen Zeitungen schwanken zwischen Hoffnung und Furcht. Lindbergh hält mit seinem Motor Zwiesprache wie mit einem guten Freunde. Endlich sichtet er, nachdem er mit seinem Motor Zwiesprache gehalten, unweit Schottlands Fischer. Die schlichten, einsamen Menschen hören und sehen auch das Flugzeug. Aber das Unternehmen scheint ihnen so übermenschlich, daß sie es nicht fassen können. Auf dem Flugplatz Le Bourget erwartet eine Riesenmenge Lindberghs Ankunft. Der Schlußabschnitt bringt die Betrachtung: 'Es erhob sich unsere stählerne Einfalt, aufzeigend das Mögliche, ohne uns vergessend zu machen das Unerreichbare.'" (N. N.: Die Funk-Stunde, Jg. 30, Nr. 11, 15.3.1930, S. 348)

Vom Lindberghflug liegen vier maßgebliche, auf Brecht zurückgehende Fassungen vor: (I) Der Erstdruck im auflagenstarken Monatsmagazin Uhu des Ullstein-Konzerns vom April 1929 mit dem Titel: Lindbergh. Ein Radio-Hörspiel für die Festwoche in Baden-Baden; (II) der Text der Fassung, die der radiophonen Uraufführung am 27. Juli 1929 zugrunde lag und im Programmheft der Kammermusik Baden-Baden, mit dem Titel Der Lindberghflug abgedruckt wurde; er umfasst 16 Abschnitte (Szenen), ist gegenüber dem Uhu-Druck um wenige Passagen erweitert und weist in der Szenenüberschrift 16 die Variante Bericht über  das Unerreichbare (statt: Erreichbare) auf; (III) der Druck in den Versuchen 1-3 im Kiepenheuer Verlag Berlin von 1930 mit dem Titel: Der Flug der Lindberghs (Radiolehrstück für Knaben und Mädchen), erweitert um die Szenen 2 und 8 (Ideologie), sowie (IV) Der Ozeanflug von 1949, die Fassung, die für den Süddeutschen Rundfunk im Dezember des Jahres geplant war, aber nicht gesendet wurde; sie gilt für die Brecht-Erben als die maßgebliche Fassung und bildete deshalb die Textgrundlage für die Gesammelten Werke im Suhrkamp Verlag von 1967 (dort Band 2). Wegen der engen Beziehungen Lindberghs zu den Nazis, wie Brecht damals (fälschlich) annahm, sollte der Name »Lindbergh« sowohl im Titel als auch im Text getilgt werden (statt: »Mein Name ist Charles Lindbergh« sollte es nun heißen: »Mein Name tut nichts zur Sache«, statt »Lindbergh spricht mit seinem Motor« jetzt: »Das Gespräch der Flieger mit ihrem Motor«). – Die Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe (GBA) in 30 (= 33) Bänden (1988-2000) druckt (entgegen ihrem Editionsprinzip, die ersten wirksam gewordenen Fassungen als Textgrundlagen zu wählen) den Text nach den Versuchen ab (2. Auflage), eine Fassung die zu Brechts Lebzeiten – weder im Radio noch auf der Bühne – gespielt oder gesendet worden ist. – Die Fassung (II), die am 27. Juli 1929, 17.30 Uhr, die in den »Kleinen oberen Sälen« des Kurhauses von Baden-Baden mit dem Frankfurter Rundfunkorchester uraufgeführt wurde, umfasste 16 Nummern. Kurt Weill komponierte die Musik zu den »Nummern 1, 2, 3, 4, 6b, 9, 12 und 13« (nach dem Programmheft), Paul Hindemith schrieb die Musik zu den, als »amerikanisch« bezeichneten, Nummern 5 (Nebel: Melodrama), 6a (Schneesturm: Bass), 8 (Schlaf: Alto und Tenor), 11 (Französische Zeitungen: Chorus) 14 (Erwartung des Fliegers: Chorus) und 16 (Bericht über das Unerreichbare: Solist und Chorus). Die Nummern 7 (Wasserrauschen), 10 (Rezitation des Glücklichen) und 15 (Ankunft in Paris) kamen als Geräusche oder gesprochenes Wort über den Apparat oder von der Schallplatte. Die einmalige und nicht aufgezeichnete Ausstrahlung erfolgte aus einem Studio im Kurhaus in der Regie von Ernst Hardt als Simulation einer Live-Übertragung. Als Sprecher war der Reporter Paul Laven engagiert, dessen Stimme dem Publikum noch aus seiner Übertragung des historischen Flugs von Lindbergh (20./21. Mai 1927) in den Ohren war. Im Anschluss folgten die Serenade für Rundfunk von Jerzy Fitelberg und Lion Feuchtwangers antiamerikanische Pep-Gedichte als »Funkkabarett« mit der Musik von Walter Goehr. – Die rein audiophone Version von Der Lindberghflug sowie die sich anschließenden Stücke von Feuchtwanger und Fitelberg wurden mit den Beteiligten der Baden-Badener Inszenierung (Regie: Ernst Hardt) am 29. Juli 1929 im Studio des Frankfurter Senders >live< wiederholt und ab 20.15 Uhr unter dem unspezifischen Programmpunkt Übertragung aus Frankfurt a.M. (bis 22.00 Uhr) über alle deutschen Sender außer der Deutschen Welle und der Deutschen Stunde in Bayern ausgestrahlt; sie erreichte ein Millionenpublikum. – Die (vielfach auch als Uraufführung verzeichnete) »öffentliche Generalprobe« des Lindbergflug, die nach dem Programm am 27. Juli im Anschluss an den Vortrag von Prof. Wagner angesetzt war, fiel aus zugunsten einer konzertant-szenischen Neuansetzung des Stücks im Kursaal am 28. Juli, nachmittags; Regie führte Brecht. Sie bildete einen Gegenentwurf zur radiophonen Inszenierung von Hardt. – Es liegen, weil damals Aufzeichnungen noch nicht vorgesehen waren, keine Tondokumente zu den drei Aufführungen vor. Eine weitere radiophone Inszenierung der Fassung II (Brecht-Hindemith-Weill) von Baden-Baden wurde am 18. März 1930, 22:00 Uhr, aus der Berliner Philharmonie unter der Leitung von Hermann Scherchen als Produktion der RRG von der Berliner Funk-Stunde sowie über die Regionalsender Brüssel und London ausgestrahlt und auf Schellackplatten aufgezeichnet. – Kurt Weill publizierte, nachdem er die Anteile von Hindemiths Vertonungen, mit dem Vorwurf »riesige Schweinereien«, verworfen hatte, 1930 eine eigene Fassung mit dem Titel Der Lindberghflug. Worte von Brecht. Musik von Kurt Weill in der Universal-Edition Wien/Leipzig. Sie entspricht mit Varianten der Fassung der Versuche, ohne die Szenen 8 (Ideologie) und 9 (Wasser). Sie wurde am 5. Dezember 1929 an der Staatsoper Berlin unter der Leitung von Otto Klemperer uraufgeführt und 1930 in der Universal-Edition publiziert. – Der Text der Baden-Badener audiophonen Fassung (II) wurde zudem in den sendereigenen Zeitungen – aufgrund der (damals noch) schlechten technischen Übertragungsqualität – eigens für das Rundfunk-Publikum zum Mitlesen in Die Werag, der Programmzeitschrift des Westdeutschen Rundfunks Köln, sowie in der Südwestdeutschen Rundfunkzeitung, Frankfurt a.M.) abgedruckt.

Weitere Informationen
Die Wiederholungssendung vom 10.11.2023 beim Bayerischen Rundfunk ist Teil von "100 aus 100. Die Hörspiel-Collection". Der Jubiläumspodcast von ARD und DLF präsentiert 100 kuratierte Hörspiele von den 1920er Jahren bis heute, aus dem Repertoire von ARD und DLF mit Unterstützung des Deutschen Rundfunkarchivs.

Bertolt Brecht (1898−1956), Lyriker, Dramatiker, Theaterregisseur und -theoretiker. Mit Helene Weigel 1949 Gründung des Berliner Ensembles. Weitere Hörspieladaptionen u.a. Leben des Galilei (BR/DRS 1960), Der Ozeanflug (SWR 1966), Aus dem Lesebuch für Städtebewohner (DLF/BR/WDR 1997), Hangmen Also Die (mit Fritz Lang, BR 2005), Trommeln in der Nacht (RBB 2020). (Biographische Notiz von 2023)

Hörspiel historisch (vor 1933) - © DRA/Hanni Forrer

Produktions- und Sendedaten

  • Funk-Stunde AG (Berlin) 1930
  • Sendeplatz: Sendespielbühne - Abteilung: Schauspiel
  • Erstsendung: 18.03.1930 | 19'02

Im Deutschen Rundfunkarchiv verfügbar

Rezensionen (Auswahl)

  • ACUSTOS: Ostdeutsche illustrierte Funkwoche, 7. Jg., Nr. 12, 21.3.1930, S. 6
  • -o-: "Lindberghflug für das Ausland", in: Der Deutsche Rundfunk, 8. Jg., Heft 13, 28.3.1930, S. 66
  • N. N.: Die Sürag, Nr. 15, 13.4.1930, S. 6

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