Originalhörspiel
Autor/Autorin:
Walter Gronostay
Mord
Ein Hörspiel
Personen: Fabrikdirektor, seine Frau, der Freund, Dienstmädchen, Telephonistin, Männerchor, Hausbewohner, Polizisten, Ansager.
Ort der Handlung: Eine Großstadt. Zeit: Gegenwart.
"Es gibt noch keine Funkliteratur im künstlerischen Sinne. Versuche, die für die Schaubühne geschriebenen Stücke als Hörspiele aufzuführen, sind fast ausnahmslos gescheitert. Die Schaffung von Hörspielen selber, die nur durch ihre akustische Intensität wirken, beschränkt sich einstweilen noch zum größten Teil auf das Gebiet gewagten Experimentierens. Was das Hörspiel fordert ist: das Wort muß wirken. Es muß Szenerie und Mimik ersetzen. Das Hörspiel erfordert also literarischste Konzentration und gleichzeitig die größtmögliche Ausnützung aller akustischen Gegebenheiten. Die Einzelstimme und der Chor, der Sprechchor, werden eine besondere Rolle im Hörspiel der Zukunft spielen. Hinzu tritt die Musik als Mittlerin zwischen dem Wechsel der Handlungen.
Nach diesen Gesichtspunkten betrachtet, bedeutet Walter Gronostays Hörspiel "Mord" einen wirklichen Schritt vorwärts auf dem Weg der künstlerischen Gestaltung des Hörspieles. Die Einfachheit der Handlung - auch eine zu beachtende Seite des Hörspiels - ist vorhanden. Eine Zeitungsnotiz hat sie gegeben, die besagt: das ein Fabrikdirektor seine Frau und ihren Geliebten in seiner Wohnung erschossen habe. Aus dieser Alltagsnotiz formt Gronostay sein Hörspiel, indem er den Vorgang, der zur Tat führte, rekonstruiert und so einfach rekonstruiert, daß er durch die Zwangsläufigkeit der Handlungen, die hier nur Telephon-Gespräche sind, zur Tragödie wird.
Der Fabrikdirektor läßt sich mit seiner Wohnung verbinden und teilt seiner Frau mit, durch den Sprechchor, daß er wegen eines drohenden Streiks Sitzung habe und die Nacht im Büro bleiben müsse. Die Frau nutzt die Gelegenheit zu einem Zusammensein mit dem Freund aus. Das Zusammensein verabredet man am Telephon. Nun spitzt sich die Tragödie zu: Der Fabrikdirektor hat ein wichtiges Papier vergessen. Ruft nochmals zu Hause an und hört, durch das vom Mädchen abgehängte Telephon, die Frau mit ihrem Geliebten sprechen. Es sind nur Bruchstücke, aber der Direktor ist schon ins Auto gestürzt, jagt zur Wohnung und der Doppelmord geschieht.
Was in diesem Hörspiel fesselt, ist, wie schon gesagt, die Klarheit und Einfacheit des Aufbaus. Die Dialoge durchs Telephon, die Untermalungen durch Sprechchor, die straffe Rhytmik der Musik an den jeweiligen Wendepunkten, wirkt geradezu klassisch. Gemahnt an die griechische Tragödie.
Wir setzen an den Schluß die wenigen Worte, die der Ansager am Ende des Hörspieles zu sprechen hat; eben jene kurze Notiz, oder in diesem Falle: Rundfunknachricht, die die gesamte Tragödie enthüllt:
Ansager: Achtung, Achtung, 1000 Mk. Belohnung! Heute Abend um 9 Uhr hat der Fabrikdirektor Ernst Krämer seine Frau und deren Geliebten in seiner Wohnung, Tiergartenstr. 14, mit sechs Revolverschüssen getötet. Der Täter ist flüchtig. Besondere Kennzeichen: Breite, untersetzte Figur, brauner Ulster, brauner Hut. Beobachtungen wolle man dem Kriminalkommissar Rommel, Polizeipräsidium, Abteilung III, Zimmer 16, mitteilen. Ich wiederhole: [...] "
(N. N.: "Mord" in: Südwestdeutsche Rundfunkzeitung, 5. Jg., Nr. 45 vom 10. November 1929, S. 3/4)
"Ein Fabrikdirektor telephoniert seiner Frau, er könne heute nicht kommen, da in seinem Betrieb Streik droht. Die Frau läßt sich sofort mit ihrem Freund verbinden, ruft ihn zu sich. Der Fabrikdirektor sucht in seinem Büro ein wichtiges Dokument, findet es nicht. Telephoniert nach Hause. Das Dienstmädchen gibt ihm zögernd Auskunft, seine Frau sei im Augenblick nicht zu sprechen. Auf das Drängen des Fabrikdirektors entschließt sie sich, seine Frau doch an den Apparat zu rufen. Sie legt den Hörer auf den Tisch. Der Direktor, der an seinem Apparat wartet, hört aus dem Nebenzimmer durch das Telephon leise Stimmen. Die Frau spricht mit dem Freund. Nach einer Weile kommt sie ans Telephon. Keine Antwort. Vom Amt wird ihr mitgeteilt, der Teilnhemer habe abgehängt. Der Fabrikdirektor nimmt sich ein Auto, fährt in rasender Fahrt nach Hause. Die Frau wird nervös. Sie drängt den Freund zum Aufbruch. Da hört man Schlüssel im Schloß. Der Fabrikdirektor schließt die Wohnungstür auf. Auf dem Polizeirevier. Das Telephon klingelt. Eine von Angst rasende Stimme ruft: Überfall! Das Auto des Überfallkommandos fährt ab. Vor dem Hause des Fabrikdirektors. Auf Klopfen wird nicht geöffnet. Kurz entschlossen brechen die Beamten die Tür auf. Aus dem Lärm ertönt die Stimme des Ansagers, der den Steckbrief gegen den Fabrikdirektor, der seine Frau und deren Freund erschossen hat, vorliest. Mitten in diese Vorlesung fällt der Sprecher ein mit den Worten: Sie hörten soeben das Sendespiel 'Mord'." (Der Deutsche Rundfunk, 7. Jg. Heft 45, 08.11.1929, S. 1434)
Weitere Informationen
Uraufführung
Produktions- und Sendedaten
- SÜWRAG - Südwestdeutscher Rundfunkdienst AG (Frankfurt am Main) 1929
- Sendeplatz: Wogelaweia, Kabarett-Abend
- Erstsendung: 10.11.1929
Livesendung ohne Aufzeichnung
Grundlage der Datenerhebung: Der Deutsche Rundfunk (Programmzeitschrift); Südwestdeutsche Rundfunkzeitung (Programmzeitschrift)
Rezensionen (Auswahl)
- sti. (Felix Stiemer): Der Deutsche Rundfunk, 7. Jahrgang, Heft 47 vom 22. November 1929, S. 1495.