Originalhörspiel
Autor/Autorin:
Wolfram Brockmeier
Land
Hörspiel
Regie: Hans Peter Schmiedel
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Josef Krahé 1. Offizier Kurt Baumgarten 2. Offizier Arthur Niklas 1. Matrose Kurt Paulus 2. Matrose Tadzio Kondziella 3. Matrose Hans Freyberg Der Irre Susanne Bach Eine Frau
"Die 'Everyman' ist ein Segelschoner, der vor einem Jahr von der Royal Academy nach dem Großen Ozean abgeschickt wurde, um das Gebiet zwischen dem 88. und dem 160. Grad westlicher Länge und dem 33. und 57. Grad südlicher Breite neu zu vermessen. Seit dieser Zeit fehlt von dem Expeditionsschiff jegliche Nachricht, die Besatzung des Schiffes, 18 Mann, treibt auf dem Ozean. Man ist der ewigen Sicht von Himmel und Wasser müde. Ja, das Leben wird geradezu unerträglich. Die Entbehrung von Land und Weib scheint die Ursache einer großen Meuterei zu werden. Auf dem Schiff befindet sich nur eine Frau in der Obhut des Kapitäns. Niemand hat die Frau bis heute gesehen, aber man ist sicher, dass an Bord ein Weib ist. Schon beginnt die Meuterei unter den Matrosen. Ein Sturm zerfetzt das Takelwerk des Schoners. Das Schiff ist in Gefahr. Aus der Kapitänskajüte wird die Frau sichtbar, die Todesangst treibt sie auf Deck, und inmitten von Sturm und Angstschrei hört man die verwegensten und entschlossensten der Matrosen singen:
'In die Südsee war der große Kahn getrieben,
Achtzehn Mann an Bord und eine Frau,
Und sie waren schon ein Jahr lang dort geblieben,
Und sie sprachen viel vom Lande und vom Lieben,
Doch sie kannten beides nicht mehr ganz genau,
Achtzehn Mann an Bord und eine Frau.'
Der Sturm hat das Schiff leck gemacht. Der Untergang ist unvermeidlich. Kampf der Männer um die eine Frau. Plötzlich der Ruf: Land. In weiter Ferne ein weißer Streifen Küste, Bäume, Wald. Der böse Bann ist gebrochen, unerwartete Rettung ist nah, und dieses neu geschenkte Stück Erde wird eine neue Heimat für die Schiffbrüchigen. Das Expeditionsschiff 'Everyman' wird als überfällig gemeldet." (N.N. in: Der Deutsche Rundfunk, 7. Jg., Heft Nr. 50 vom 13. Dezemer 1929, S. 1584)
"Wenn man einige Seiten dieses Hörspielmanuskriptes in sich aufgenommen hat, muss man als Funkjournalist von einem seltsamen Gefühl der Beruhigung ergriffen werden. Bei allzuvielen Stücken hat man sich sagen müssen: gewiss literarisch von Wert - aber zugleich bedauert man den Funkregisseur, der immer wieder vor die fast unmögliche Aufgabe gestellt wird, ein Schauspiel durch seine Arbeit erst in ein Kunstwerk des reinen Klanges umzuformen. Hier wird ihm diese Aufgabe erspart. Dieses Sendespiel ist von einem geschrieben, der von vornherein in Klangbildern zu denken vermag. Das zeigt sich nicht allein in den Äußerlichkeiten der Regieanweisungen, wie etwa 'ganz nah am Mikrophon' usw. Sondern der ganze Aufbau des Stückes ist so gestaltet, dass man allein aus dem Gehörten heraus die Vorgänge bis ins letzte verstehen kann. Das hängt zum Teil mit einem weiteren, scheinbar nur 'äußerlichen' Stilmerkmal des Werkes zusammen: der Kürze der einzelnen sprachlichen Äußerungen. Wenn nämlich in einem Hörspiel eine Person sich in langdauernden Reden ergeht, so besteht die Gefahr, dass man die Anwesenheit der Gegenspieler inzwischen regelrecht vergisst - weil man sie ja nicht sieht. Hier aber bewegen sich durch das Tonfeld in knapper Wechselrede mit klugem Bedacht abgegrenzte Gruppen von Menschenstimmen, deren Anzahl die Vier selten überschreitet. Auch die 'Klangkulisse', so z. B. das immer wieder hindurchklingende Lieblingslied der Matrosen, ist als Stimmungsmittel mit viel Geschick verwendet. So kann das günstige Urteil über den Wert dieses Stückes auch keinesfalls dadurch herabgemindert werden, dass man vielleicht einige entfernte Stilanklänge an Goerings berühmten Einakter 'Seeschlacht' zu entdecken vermöchte. Denn in seiner ausgesprochenen Funkgemäßheit ist es dennoch durchaus originell - einer Funkgemäßheit, wie wir sie bisher nur von einigen besonders gut gelungenen Reportagehörspielen kennen. Aber die Werke dieser Gattung können fast niemals ganz auf die Zwischenreden des Ansagers verzichten, während hier wirklich alles in lebendiges Zusammenspiel aufgelöst ist. Das Stück ist ein psychologisches, genauer: ein gruppen-psychologisches Bild einer ungewöhnlichen Stimmungslage. Darin, dass nicht das Geschehen wesentlich ist, sondern die zuständliche Seelenverfassung einer Menschengruppe, ein seelischer Zusammenklang gleichsam, in dem die einzelnen Stimmen der handelnden Personen nur die verschiedenen Teiltöne darstellen - darin eben liegt die vorhin erwähnte stilistische Verwandtschaft mit Goerings 'Seeschlacht'. Und zwar ist es die Stimmung der Vereinsamung auf dem Weltmeer, deren Gestaltung sich der Dichter als Aufgabe gesetzt hat. Der Ort der Handlung ist das Deck eines englischen Segelschiffes, das in der Südsee in amtlichem Auftrag eine Vermessung durchführen soll. Seit langer Zeit ist man unterwegs, eine wilde Sehnsucht nach Land und Heimat packt die Matrosen - aber die Offiziere weigern sich, Auskunft zu geben, warum die Fahrt sich so qualvoll in die Länge zieht. Allmählich klingt aus den sehnsüchtigen Gesprächen über die Heimat der drohende Ton des Aufruhrs hervor. Seltsame, kindische Wünsche sind es, die in den vom Wahnsinn der Verlassenheit ergriffenen Menschen erwachen. Einer hat entdeckt, dass der sonderbare Kapitän, der als ungreifbare Macht des Verhängnisses gleichsam unhörbar im Hintergrund bleibt, in einer Kabine eine Art Zimmergarten angelegt hat. Nur einmal wieder Erde und Erdgeruch spüren! Man will mit Gewalt den Zugang zu dem Heiligtum des Kapitäns erzwingen. Aber ein anderes bricht, in sinnbildlicher Verknüpfung, noch mit hindurch: die Gier nach der Frau. Der Kapität hat seine Frau mitgenommen, die sich die ganze lange Zeit bisher verborgen halten musste. Jetzt erst steigert sich die Erregung zu gefährlicher Größe. Noch kann der erste Offizier die Besatzung in Schach halten - da wird das Schiff im Sturme leck, und nun, als er den sicheren Untergang erwartet, unterliegt auch dieser starre Pflichtmensch in jäher Umwandlung der Leidenschaft; er will mit den Meuterern gemeinsame Sache machen - während der junge, weiche zweite Offizier, der bisher freundschaftlich zur Mannschaft stand, inzwischen heimlich und abgesondert-egoistisch den Kampf um die Frau mit blinder Gewalttat begonnen hat. Da aber scheint das Schicksal in letzter Minute ein Einsehen zu haben, besänftigt gleichsam durch das eine Todesopfer: das sinkende Schiff erblickt Land. In dem grellen Kontrast der wilden Aufschreie wiedererwachter Lebensfreude und der verworrenen Sprüche des schwedischen Matrosen, der, unter dem Druck der Vereinsamung von religiösem Wahnsinn ergriffen, als grotesk-unheimliche Gestalt die Geschehnisse mit seinem irren Gerede begleitet, findet die Dichtung ihren Ausklang." (W. Zenker in: Die Mirag, Heft Nr. 50, 14.12.1929, S. 21.)
Ort der Handlung: An Bord eines Segelschoners zwischen Brücke und 1. Mast.
Produktions- und Sendedaten
- MIRAG - Mitteldeutsche Rundfunk AG (Leipzig) 1929
- Erstsendung: 19.12.1929 | 21:30 Uhr | ca. 45'00
Livesendung ohne Aufzeichnung
Grundlage der Datenerhebung: Der Deutsche Rundfunk (Programmzeitschrift); Die Mirag (Programmzeitschrift)
Rezensionen (Auswahl)
- Lynx: Die Sendung, 6. Jg., Heft Nr. 52, 27.12.1929, S. 867.