Originalhörspiel
Autor/Autorin:
Robert Walter
Die letzte Hexe
Eine Hörszene
"Zu den dunkelsten Kapiteln der Kulturgeschichte gehören die Hexenverfolgungen und Hexenprozesse. Durch sie ragt mitteralterliche Anschauung bis weit in die Neuzeit hinein. Der erste Prozess wird bereits im Jahre 1275 erwähnt; größere Verfolgungen setzten mit dem Jahre 1330 ein. Aber noch weiteren Umfang nahmen sie an, als sie in Verbindung mit der Inquisition im 16. Jahrhundert ausgeübt wurden. Die Kirche paktierte mit dem Aberglauben des Volkes, um ihre Machtstellung aufrechtzuerhalten. Die Ära der Hexenprozesse in Europa dauerte etwa fünfhundert Jahre. Niemals vorher oder nachher hat der Massenwahn abscheulicher bei allgemeinster Anerkennung und schwächlichstem Widerspruch geherrscht. Wir machen uns heute schwerlich eine rechte Vorstellung von den Wirkungen dieser geistigen Pest. Hunderttausende von Menschen, Frauen, Männer und Kinder, werden getötet. Das System der Verfolgung, der Untersuchung und Marterung wird allmählich derart höllisch ausgeklügelt, dass jeder Angeklagte oder Verdächtigte, den man beseitigen will, auch beseitigt wird. Oft sind zu gleicher Zeit am selben Ort viele hundert Menschen verbrannt worden. Zwar erhoben sich immer wieder Stimmen, die gegen diese Schrecken des Wahnwitzes und der Bestialität eiferten. Aber erst gegen Mitte des achtzehnten Jahrhundert, besonders dank der friderizianischen und josephischen Reformen, endete diese Schande des Menschengeschlechts. Die letzte Hexe im sog. zivilisierten Europa wurde im Jahre 1782 zu Glarus in der Schweiz getötet. Es war eine Dienstmagd, Anna Göldi mit Namen, die lediglich auf die Aussage eines zehnjährigen verderbten Kindes hin angeklagt und gerichtet wurde. Die Akten des letzten Hexenprozesses sind, zum Teil wenigstens, erhalten geblieben. Und es ist sehr gut, sie einmal wieder aufzublättern - zur Erleuchtung und zur Warnung." (F. B.: "Die letzte Hexe", in: Die Norag, 7. Jg., Nr. 2, 12.1.1930, S. 11)
"Die neue Hörszene aus der Feder des erfolgreichen, auch im Rundfunk schon bekannten Dramatikers Robert Walter behandelt den Prozess gegen die Dienstmagd Anna Goldi aus Glarus, der das typische Beispiel einer falschen Kinderaussage bietet. Die etwa 50jährige Dienstmagd des Amtsmanns Tschudi von Glarus hat der etwa zehnjährigen Tochter des Herrn 'des öfteren ein Püfflein gegeben', wie irgendwo in den Akten zu lesen steht. Eines Tages findet das Kind eine Stecknadel in seiner Milchwecke, und auch in der Suppe soll eine Nadel geschwommen haben, die von der Magd hineinpraktiziert worden sein soll, um das Kind zu verletzen oder zu töten. Die Magd mag nicht mehr im Hause des Amtsmanns sein, gibt ihren Dienst auf und sucht einen Schmied auf, einen sonderbaren Mann, der im Rufe steht, ein heimlicher Hexenmeister zu sein. In der Zwischenzeit soll das Kind angeblich Stecknadeln gebrochen haben, die ihm niemand anders als die Magd eingehext haben soll. Auf diese Behauptungen des Kindes hin wird die Magd in Solothurn gefänglich eingezogen und vom geistlichen Gericht gefoltert. Ihr unter Zwang abgepresstes Geständnis hatte sie nachher widerrufen, aber sie wurde doch zum Tode verurteilt. Dieser letzte Hexenprozess fand 1782 statt. Am 18. Juni ist die letzte Hexe hingerichtet worden." (N. N.: Europa-Stunde, 2. Heft, Jg. 1930, 10.1.1930, S. 8)
Produktions- und Sendedaten
- NORAG - Nordische Rundfunk AG (Hamburg) 1930
- Erstsendung: 16.01.1930 | 20:00 Uhr | ca. 60'00
Livesendung ohne Aufzeichnung
Grundlage der Datenerhebung: Der Deutsche Rundfunk (Programmzeitschrift), Die Norag (Programmzeitschrift); Europa-Stunde (Programmzeitschrift)
Rezensionen (Auswahl)
- Lynx: Die Sendung, 7. Jg., No. 4, 24.1.1930, S. 64