ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Kranichzug
Technische Realisierung: Gerhard Neumann
Regie: Hanns Korngiebel
Seit je ist in der Menschheit der Glaube verwurzelt, aus dem Vogelflug das Schicksal deuten zu können. Und keinem anderen Zugvogel ist eine direkte Schicksalsverbundenheit so häufig nachgesagt worden wie dem Kranich. - Er ist selten geworden bei uns. Nur im Herbst, wenn er sich zur großen Reise nach Afrika rüstet, tut er sich mit seinesgleichen zusammen. Es gibt kaum ein herzbeschleunigenderes Bild, als so einen Kranichtrupp aufbrechen zu sehen. Ihre Rufe, die die Kraniche ständig aus Orientierungsgründen während ihres Zuges ertönen lassen, gehören zum Schönsten und Beunruhigendsten, was die Natur sich an Vogelstimmen hat einfallen lassen. Der Zug der Kraniche geht von Deutschland aus über Südfrankreich, Spanien, Nordafrika, den Sudan bis an den Weißen Nil. Im Frühjahr fliegen die Kraniche genau die gleiche Route wieder zurück. In jedem der überflogenen Länder werden so auf der Hin- und Rückreise die gleichen Schicksale angeschnitten, und es stellt sich heraus, daß zwar alle diese Menschen in den Kranichen etwas anderes sehen, doch daß keiner von ihnen sich ihrer oft fast überirdischen Faszination zu entziehen vermag; so daß sich einem schließlich die Vermutung aufdrängt, dieser Kranichzug deutet das Schicksal nicht, sondern er ist es.