ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Die Stadt der Gerechten
Technische Realisierung: Klaus Kiehn, Müller
Regie: Wolfgang Spier
Nach 25 Dienstjahren als Hauptbuchhalter bei Moralt & Söhne ist der biedere, redliche, unendlich korrekte Herr Weidinger so weit, daß er sich ein Haus kaufen kann. In der Großstadt sind die Häuser zu teuer, aber draußen in Friedensberg, einer gerade aus dem Boden gestampften neuen Wohnstaddt, nur eine halbe Bahnstunde entfernt, da sind die Preise erschwinglich, da siedelt Herr Weidinger sich an mit seiner Familie. Es ist eine Stadt nicht nur mit lauter gleichen Häusern, sondern auch mit Leuten in etwa gleichen Einkommensverhältnissen, mit gesiebten zuverlässigen Menschen, die es durch Sparsamkeit dahin gebracht haben, die geforderte Anzahlung leisten zu können auf das seit Jahren erstrebte Eigenheim. Unter so korrekten, wenn auch vielleicht etwas mittelmäßig gleichgeschorenen Leuten gibt es das alles nicht, was sonst in menschlichen Gemeinschaften immer wieder eine Rolle spiel: Unrecht und Unredlichkeit, Untat oder gar Verbrechen. Die Stadt Friedensberg ist eine Stadt nach Gottes und des Gesetzgebers Willen, eine Stadt der Gerechten. Ist sie es wirklich? Herr Weidinger will es nicht recht glauben. Er sucht nach Zeichen, die das Gegenteil beweisen. In der zunehmenden Sucht, bei seinen Nachbarn Fehler und Flecken zu entdecken, wird er nörgelsüchtig und auf eine unangenehme Weise selbstgerecht, so daß die eigene Familie darunter leidet. Und merkwürdig, eines Tages steht er selbst, ohne daß sein Charakterbild sich sichtbar verändert hat, als Defraudant, als Buchungsfälscher, als Betrüger da vor sich und seiner Frau, die ihn eben noch vom Rande der Katastrophe zurückreißen kann. Aber was ist in Herrn Weidinger gefahren? Er stolpert ein zweites Mal und beginnt, wunderlich, wie er geworden ist, mit der ungeheuerlichen Vorstellung zu kokettieren, er könnte vielleicht sogar einen Mord begangen haben. Will er unbedingt am eigenen Ich den Beweis erbringen, daß es eine Stadt ohne die Schatten der Kriminalität nicht gibt? Oder warum reibt er sich zufrieden die Hände, der korrekte, etwas skurrile Herr Weidinger?