ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
In den Staubkammern
Regie: Gert Westphal
Die Berliner Autorin Hedwig Rohde schrieb in den ersten Nachkriegsjahren den Roman "Der entgiftete Apfel" und das Bühnenstück "Ein anderes Land". Seither ist sie als Kritikerin für Literatur, Theater und Bildende Kunst tätig. Ihr Roman "Orest und der Wal" erschien zuerst in Frankreich (1962), dann in Deutschland (1963). RIAS Berlin sendet ihr erstes Hörspiel. Die Autorin schreibt dazu: "Schon in meiner zum Lesen bestimmten Prosa habe ich versucht, Dialog und inneren Monolog für den Leser hörbar zu machen. Das bedeutete: es mußten sprechbare Sätze sein, brauchbare, natürliche, nicht gesuchte Wörter. Es gibt heute nicht mehr die gehobene "dichterische Sprach". Wir haben entdeckt, daß die Alltagssprache poetisch sein kann. Wir filtern aus ihr das Komische und das Tragikomische. Banale Ausdrücke werden doppeldeutig. Durch Wiederholung, durch Variation, Reihung oder Rhythmisierung erhalten abgenutzte Vokabeln Motiv-Wert. Und mit der Sprache als Verständigungsmittel ist das so eine Sache. Wir reden aneinander vorbei. Nur Bruchstücke von dem, was der eine sagt, werden vom anderen aufgenommen. Aber aus der Synthese von Alltagsgesprächen kann das Bild einer ganzen Stadt entstehen. Der Hörer ist fremd in dieser Stadt. Fremd wie Ruth Reger, die nichts will, als sich auf der Durchreise ein paar alte Kirchen ansehen, und die dabei auf ein Stück eigner Vergangenheit stößt. "Nur die Vergangenheit sieh als dein Eigentum an": diese zweite Zeile eines Epigramms von Martial ist mein Thema. Die Gegenwart, das sind unbekannte, gleichgültige oder abweisende Stimmen. Weil aber dahinter unerwartet ein Dialog aus der Vergangenheit vernehmbar wird, bekommen auch die zufälligen Sätze von Museumsbesuchern für Ruth Wichtigkeit. Sie versucht, mit den Menschen dieser alten Bischofsstadt ins Gespräch zu kommen. Sie ist eine Frau, bei ihr dringt das Vergessene, das im Unbewußten angefangen hat zu arbeiten, bis ins Bewußtsein durch. Bei einem Mann stößt es - noch dazu wenn es sich um einen Wissenschaftler handelt wie um den Archäologen und Museumsfachmann Dr. Lettig - gegen feste Begriffsmauern. Aber auch so ein schon festgefahrenes Leben bekommt kleine Stöße vom Grund her. Es brauchte nur noch einen glücklichen Zufall, damit das Begrabene wieder aufstünde. Pech, wenn es jemanden gibt, der das eifersüchtig verhindert. Müssen die Menschen, die aneinander vorbeireden, auch aneinander vorbeilaufen? Glück oder Pech, das man "hat", macht man meistens allein. Ob es für Ruth Reger und Hannes Lettig die Wiederbegegnung gibt, das hängt davon ab, wie sie den Augenblick ergreifen. Bei Martial heißt die erste Zeile: "Nimmer frommts zu verschiebn, was später dir könnte missraten".