ARD-Hörspieldatenbank
Porträt, Originalhörspiel
Melville, der Rätselhafte
Leben und Werk eines großen amerikanischen Dichters
Technische Realisierung: Christine Gamel
Regieassistenz: Stephanie Samesch
Realisation: Julian Doepp, Mira Alexandra Schnoor
Herman Melville, geboren 1819 in New York, begann 1841 als einfacher Matrose auf Walfangschiffen. Es folgten: Desertion, Aufenthalt bei einem von der Zivilisation völlig unberührten polynesischen Eingeborenenstamm, Meuterei an Bord eines Walfängers, Flucht aus einem Gefängnis in Tahiti, Dienst auf einem amerikanischen Kriegsschiff. Nach seiner Rückkehr an Land wurde Melville Schriftsteller. Die ersten beiden Romane über seine Südsee-Erfahrungen waren große Erfolge, doch als Melville den Weg des naturalistischen Erlebnisromans verließ, reagierten Kritiker und Publikum mit Unverständnis und Ablehnung. In den Jahren zwischen 1846 und 1857 entstand Herman Melvilles Prosawerk: neun Romane, beginnend mit den furiosen Debüts "Typee" und "Omoo", über das großartige "Mardi und eine Reise dorthin", das bekannteste Werk "Moby-Dick" bis zum vorläufig letzten Roman "Maskeraden oder Vertrauen gegen Vertrauen" und eine Reihe von Erzählungen, darunter Meisterwerke wie "Bartleby" und "Benito Cereno". 1866 nahm der überarbeitete und kranke Melville eine Stelle als Zollinspektor im Hafen von New York an. Im April 1891, 34 Jahre nach seinem letzten Prosatext, beendete Herman Melville den Roman "Billy Budd", eines seiner schönsten Werke, das erst posthum veröffentlicht wurde. Fünf Monate später starb er. Vom Tod dieses Vergessenen, Unglücklichen, Verkannten, dieses Größten der amerikanischen Literatur nahm kaum jemand Notiz. Erst dreißig Jahre später begann eine Melville-Renaissance, die einem Werk galt, das in seiner Mehrdeutigkeit und Komplexität weit über seine Zeit hinaus auf die Moderne verweist. Entdeckt wurde ein Schriftsteller, der es als Autodidakt vermochte, Belesenheit mit Abenteuerlust, wissenschaftlichen Erkenntnisdrang mit kraftvoller Prosa, soziale Kritik mit metaphysischer Sinnsuche, ironische Schärfe mit poetischer Zartheit zu verbinden. Nur wenige große Biographien sind bisher über Melville erschienen; zwei maßgebliche Arbeiten wurden 1996 und 2002 in Amerika veröffentlicht. Der Grund für die Zurückhaltung: Melvilles Leben und Werk gehören zu den großen Rätseln der Literaturgeschichte. Es gibt von Melville keine Tagebücher, ein Großteil seiner Korrespondenz ging verloren. Mit Hilfe der erhaltenen und wiederentdeckten Dokumente und Texte porträtiert Mira Alexandra Schnoor den großen Dichter.
Mira Alexandra Schnoor, geboren 1962 in Manchester, produzierte für den BR u.a. folgende Sendungen: "szenen aus dem wirklichen leben. Werkstattbericht zu Ernst Jandl" (1990, mit Herbert Kapfer), Porträts zu Rudolf Noelte (1991) und Raoul Schrott (2001) und die Hörspielcollage "Lady Lazarus" (1994, nach Sylvia Plath).