Originalhörspiel
Autor/Autorin:
Theodor Weißenborn
Der Schneider von Ulm oder Fortgesetzte Rede eines Mannes in unmöglicher Position
Regie: Oswald Döpke
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Herbert Fleischmann Patient Hans Paetsch Arzt und Kommentator
"Physische Leiden sind Erscheinungen, die uns mehr oder minder aus
unserer unmittelbaren Umgebung vertraut sind. Solche Erscheinungen
können wir - auch im außerliterarischen Bereich - verstehen, bei ihnen
können wir aufgrund von Beobachtungen oder aufgrund eigener, analoger
Erfahrungen mitfühlen. Kaum oder schwer verständlich - uneinfühlbar
wie die Psychologen sagen - sind dagegen Vorgänge, die sich in einer
krankhaft veränderten Psyche abspielen. Der Autor, der sich bemüht,
auch solche Vorgänge zu gestalten, gerät dabei in eine Lage, die der
eines Psychoanalytikers vergleichbar ist: Er muss die Worte und Gesten
seines Modells dechiffrieren, er muss im sinnlos, ja absurd
erscheinenden stofflichen Wust den verborgenen Zusammenhang finden.
Entzieht sich wie im Falle der hier dargestellten Schizophrenie der
psychotische Vorgang einer individualpsychologischen Deutung, so
bleibt dem Autor nur noch die Möglichkeit einer allgemeinen
Sinngebung, die sich darauf beschränkt, jene kollektiven Urbilder,
Urängste und Urwünsche aufzuzeigen, die in der Krankheit des Geistes
sichtbar werden, aber nicht nur den Inhalt pathologischen Wahns
bilden, sondern darüber hinaus die poetische Rede kennzeichnen und das
Wesen des Menschen mitbestimmen."
Diesen Worten des Autors ist wenig hinzuzufügen. In Form einer
Befragung, deren Verlauf und Ergebnisse von einem Kommentator
lakonisch vermerkt werden, beschreibt Weißenborn den reduzierten
Menschen, der vom Wahn ergriffen und gepeinigt wird ohne die geringste
Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Unbewusst und ungewollt und daher
dem heillos Leidenden kein Trost, gibt das Verhalten im Wahn
Aufschluss über die Struktur des menschlichen Geistes.
.
"Der Schneider von Ulm" ist, wie der Autor ausdrücklich vermerkt, den
Werken "Schizophrenie und Sprache" von Leo Navratil und
"Sprachphänomene und Psychose" von Theodor Spoerri verpflichtet. Der
Sendung wird ein Tondokument - die Aufzeichnung des Sprachverhaltens
eines schizophrenen Patienten - vorangestellt, Ausgangsmaterial der
Weißenbornschen Arbeit.
Produktions- und Sendedaten
- Westdeutscher Rundfunk 1969
- Erstsendung: 19.06.1969 | WDR 3 | 33'46
Rezensionen (Auswahl)
- Irene Meichsner: Gefäß des Geistes. In: Köner Stadt-Anzeiger vom 07.09.1985.