ARD-Hörspieldatenbank

Originalhörspiel



Hans Magnus Enzensberger

Taube Ohren - Ein Tonband aus dem Biedermeier



Regie: Heinz von Cramer

"Ort: Wien. Zeit: 1823/24. Der Hausherr ist taub. Hausgenossen und Besucher verständigen sich mit ihm, indem sie ihre Mitteilungen auf Zettel oder in ein kleines Heft schreiben. Der Hausherr könnte ihnen auf dieselbe Weise antworten. Er zieht es jedoch vor, zu sprechen. Dabei bringt er aber nur unartikulierte Laute hervor, er lallt, schnaubt, grunzt, hustet und spuckt; nur wenige Worte sind überhaupt zu verstehen. Die Hausgenossen und Besucher dürfen sich jedoch nicht anmerken lassen, dass sie ihn nicht verstehen. Der so entstehende Dialog ähnelt strukturell einem Telefongespräch, von dem man nur eine Seite hört oder versteht. Selbstverständlich versuchen die Hausbewohner und die Gäste, sich hinter dem Rücken des Hausherrn zu verständigen, ohne dass er es bemerkt. Das geschieht in der Regel flüsternd. Gelegentlich äußert der Hausherr sich auch schriftlich, durch Aufzeichnungen oder Briefe, die für ihn eine Art von Selbstgespräch darstellen." Soweit Hans Magnus Enzensberger über sein Hörspiel "Taube Ohren". Als wichtigste der ausschließlich authentischen, zeitgenössischen Quellen dienen ihm Materialien, die bislang allein unter musikhistorischen und biografischen Gesichtspunkten betrachtet und interpretiert worden sind: Die Konversationshefte von Ludwig van Beethoven. Enzensberger zielt nun nicht auf ein Beethoven-Porträt, sondern bedient sich der Hefte unter einem gesellschaftshistorischen Aspekt. Sie erweisen sich als wertvolles Dokument für die gesellschaftlichen Verhältnisse im vormärzlichen Wien, die in mancher Hinsicht Parallelen zur Gegenwart zeigen, nicht nur insofern, als die proklamierten Leitbilder leer und unausgefüllt sind. Die bedeutungsvollen Symptome, die in den Konversationsheften versammelt sind, werden in freier Montage diagnostisch durchleutet. Der Blick in einen zeitgenössischen Haushalt widerlegt die landläufigen Vorstellungen vom gemütlichen Biedermeier, wie es gründlicher nicht denkbar wäre.

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Mitwirkende

Sprecher/SprecherinRolle/Funktion
Franz KutscheraDer Hausherr
Helmuth LohnerDer Neffe
Johannes SchauerSchindler
Alois GargCzerny
Karin BuchaliDie Baronesse
Alwin Joachim MeyerUnger
Jaromir BorekSchuppanzigh
Louise MartiniDie Sängerin
Rolf BeckerSprecher


 

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Westdeutscher Rundfunk 1971

Erstsendung: 07.04.1971 | 90'20

Darstellung: