ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Der Zögling
Komposition: Haralt Winkler
Regie: Klaus Mehrländer
Ursula, 24, Studentin der Soziologie, stammt aus gutbürgerlicher Familie. Sie hat Kindheit und Schulzeit in einer intakten Familie verbracht, zu Beginn ihres Studiums, das ihr Vater finanziert, ist sie in die nahegelegene Großstadt übergesiedelt, wo sie eine kleine Zweizimmerwohnung bewohnt. Da sich ihr Studienfach als recht trockene Beschäftigung mit Statistiken, Zahlenreihen und Theorien von Gesellschaft entpuppt hat, träumt Ursula manchmal davon, in Arbeiterwohnviertel, Gastarbeiterunterkünfte oder Obdachlosensiedlungen zu gehen, um die Lebenswirklichkeit der sogenannten Unterschichten kennen zu lernen. Gelegenheit dazu hatte sie noch nicht, als sie durch Zufall dem siebzehnjährigen Thomas begegnet. Thomas, in Kinder- und Jugendheimen aufgewachsen, hat gerade eine Jugendstrafe wegen Diebstahls hinter sich, er hat kein Zuhause, keine Angehörigen, so dass Ursula ihn bei sich aufnimmt - aus Mitleid, Interesse, spontaner Regung, aber auch in der Absicht, dem Jungen zu einem geregelten Leben zu verhelfen. "Thomas, ein moderner Woyzeck, sieht sich auf einmal in einer für ihn ungewohnten Umgebung von Menschen umgeben, die ihm nach außen hin freundlich entgegen kommen, ihn jedoch eigentlich nur als Objekt betrachten, das man für den jeweils persönlichen Zweck nutzbar machen könnte. Niemand ist wirklich bereit, auf den Jungen einzugehen und ihn, so wie er ist, mit seiner ganzen Vergangenheit, seinen psychischen Verunstaltungen, seiner Wolfsmoral und seinen Wertmaßstäben zu akzeptieren. Natürlich macht er es ihnen keineswegs leicht. Er schlägt um sich, stiehlt, lügt und trickst sich mit allerlei schiefen Touren durchs Leben. Im Grunde jedoch tut er genau das, was alle anderen um ihn herum auch tun, nur tut er es offener, direkter, weniger verbrämt durch falsche Freundlichkeit und Schmeichelei." (Harald Mueller)