Originalhörspiel

Autor/Autorin: Urs Ledergerber

Letzte Liebe

Regie: Heiner Schmidt

  • Weitere Mitwirkende

    Sprecher/SprecherinRolle/Funktion
    Susanne BeckGisela Bürger
    Willy SemmelroggeSadkowsky
    Günther SauerChef

In einem Büro verdient sich ein alter Mann als Ausläufer Zugeld zur Rente. Da eine der Angestellten Ferien hat, wird für zwei Wochen Gisela Bürger, eine Studentin, eingestellt. Jeden Morgen muß Sadkowsky in Giselas Büro die Post abholen und ihr den Pausenkaffee bringen, und schon am ersten Tag findet er, daß Gisela einer Fernsehansagerin ähnlich sieht. Er kommt mit ihr ins Gespräch, das nun jeden Morgen neu aufgenommen und weitergeführt wird. Dabei ist es vor allem Sadkowsky, der Gisela sein Leben, ein Arbeiterleben, erzählt; er berichtet von seinem ehemaligen Chef, dessen Aufstieg zum reichen Geschäftsmann und gut verheirateten Villenbesitzer: Dabei zeigt sich, daß Sadkowsky immer nur für andere gearbeitet hat und ausgenutzt wurde. Da ihm aber die Einsicht in diese Zusammenhänge fehlt, versucht Gisela, sie ihm behutsam aufzuzeigen.

Kommentar von Urs Lederberger: "In der Buchhaltung eines kleinen Export-Unternehmens tritt eine hübsche Studentin die Stelle einer Urlaubsaushilfe an. Sie gerät ins Gespräch mit dem alten Boten, der jeden Morgen in diesem Büroraum seinen kleinen Pflichten nachgeht. Diese sommerliche Begegnung hat für beide den Charakter eines Ausnahmezustandes: Die junge Frau ist in ungewohnter Umgebung, abseits vom Universitätscampus; sie wird konfrontiert mit einem Vertreter aus einer andern, nicht so privilegierten Schicht; ihre Unsicherheit, ihre Zurückhaltung tritt nur deshalb kaum im Erscheinung, weil der Mann schon alt ist - mehr Opa als Angehöriger der Werktätigen. Der alte Bote "sieht" in ihr wohl die Studentin, tatsächlich sieht er jedoch eine Ähnlichkeit mit einer Fernsehansagerin; die Schönheit vom Bildschirm plötzlich im Büro - eine Live-Show für ihn allein. Sie ist viel zu schön, als daß er etwas von ihr wollte; er will sich ihrer nur bedienen, um am Ende seines Lebens der individuellen Utopie, seiner von der kapitalistischen Ideologie wesentlich geprägten Vorstellung von einem Leben in Konsum-Freiheit und Selbstbehauptung gegenüber der Konkurrenz wenigstens spielerisch einmal näher zu kommen. Dagegen wehrt sich die junge Frau, will sich nicht zur Siegestrophäe, zum Objekt machen lassen. Sie setzt gegen die individuelle, ganz konkrete Utopie des alten Mannes die allgemeine, abstrakte Vorstellung einer besseren Gesellschaft - behutsam, aber überzeugt. Irgendwie ahnt sie zwar den großen, vielleicht letzten Aufschwung in der Seele des Alten, kann aber nur die pervertierte Äußerung eines unterdrückten Gefühls und nicht die vertrauensvolle Selbstmitteilung eines Mitmenschen erkennen. - Der Ausnahmezustand endet; die schöne Studentin räumt den Platz wieder für die "richtige" Angestellte."

Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel

Produktions- und Sendedaten

  • Radio Bremen 1975
  • Erstsendung: 09.05.1975 | Bremen Eins | 59'30

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