ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Das tote Dorf
Komposition: Werner Eisbrenner
Regie: Heinz-Günter Stamm
Oberhalb des Tentra-Tales, im slowenischen Gebiet der julischen Alpen, liegt nahe der italienischen Grenze ein kleines Bergdorf, in dem seit mehr als zehn Jahren nur Frauen leben, die bis auf den heutigen Tag in Trauer gehen. Ihre Kleidung ist schwarz, und schwarz ist der als Kopftuch getragene Witwenschleier der Mütter. Seit jenem schwarzen Tag im Oktober 1943, an dem in diesem Dorf ein feindlicher General von einem Partisanen erschossen wurde - eine Tat, auf die hin als Sühne sämtliche Männer und Knaben getötet wurden -, leben diese Frauen gleichsam außerhalb der Welt, außerhalb der Gemeinschaft mit anderen Menschen in benachbarten Dörfern nach einem eigenen Gesetz, dem das Gelöbnis zu Grunde liegt, nicht mehr zu heiraten und keine Kinder mehr zu gebären. Sie gelobten es, weil sie wollten, daß ein Ende sei mit jeglicher Gewalt, mit Krieg, Rache und Mord. In Protest und Auflehnung gegen ein Leben, das immer wieder Gewalt, Mord und Krieg gebiert, verurteilen sie sich und ihr Dorf mit diesem Gelöbnis zum Aussterben. Seit jen em Oktobertag im Jahre 1943 sind mehr als zehn Jahre vergangen. Das Dorf war un d blieb ein totes Dorf. Einige der alten Frauen starben, aus Kindern wurden Mädchen mit den Sehnsüchten, Hoffnungen und Erwartungen ihres Geschlechts, doch auch sie sind gebunden an das Gelübde der Mütter. Aus dieser Bindung erwächst in einigen der heranwachsenden Mädchen ein Haß gegen ihre Mütter. Der Kampf zwischen Müttern und Töchtern beginnt. Der Vorwurf ist authentisch verbürgt. Auf einer Reise durch Jugoslawien erfuhr der Autor, im Gespräch mit dem Pfarrer eines benachbarten Kirchdorfes, was sich an dem Mordtag des Jahres 1943 und in den Jahren danach in jenem kleinen Bergdorf, dem "toten Dorf", wie es genannt wird, zugetragen hat. Neuhaus schrieb sein Hörspiel nach dem Leben, und das Leben selbst, so könnte man sagen, setzte den Schlußpunkt.