ARD-Hörspieldatenbank

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Hörspiel



Werner Barzel

Der Mann, der draußen blieb

Eine Hörszene über Franz Kafka



Regie: Curt Goetz-Pflug

Als Franz Kafka im Jahre 1924 - erst 41 Jahre alt - starb, war er fast unbekannt. Heute "kann sich kein Kulturbeflissener mehr vor Kafka-Strahlungen retten". Sein dramatisierter Roman "Das Schloß" war 1951 das meistbeachtete Schauspiel der Theatersaison. In Deutschland, Frankreich, England und sogar in Amerika liest man heute Kafkas Romane und diskutiert (und kopiert) ihn lebhaft. Es ist keine erfreuliche Lektüre, denn bei Kafka gibt es keine Sicherheit, keinen Trost des Geborgenseins. Jedes Einzelschicksal, das er darstellt, nähert sich unweigerlich einer Katastrophe, aus der es kein Entrinnen gibt. Der Pessimismus siegte im Werk Kafkas, ein totaler, kompromißloser Pessimismus - und das ist es, was ihn unserer Zeit so nahegerückt hat. Die schwierige Aufgabe, mit Kafka'schen (und also schon recht dialektisch-paradoxen) Mitteln einen Weg zu Kafka zu bahnen, hätte wohl nicht besser gelöst werden können. Sie wird an einer im Grunde einfachen Situation vollzogen. Ein Professor (konventionell-verlogen) hat einen kleinen Kreis von Kafka-Verehrern zu einer Lesung geladen; der Schauspieler Kukulla (eitel-gespreizt-zudringlich) liest ein Stück Kafka-Prosa: nämlich von dem "Mann, der draußen blieb", dem es (aus Schüchternheit, aus mangelndem Mut?) ein Leben lang nicht gelingt, an dem "Türhüter" vorbei "hinein", das heißt bei Kafka: "ins Gesetz" zu kommen (obwohl, wie sich kurz vor seinem Tode herausstellt, diese Tür allein für ihn dieses Leben lang offengestanden hat und nun für immer geschlossen wird). Kukulla-Aribert Wäscher liest das so abscheulich hochtrabend-pathetisch, daß sich "der Schüchterne" unter den Zuhörern gegen alle seine Lebensgewohnheiten zu dem Ausruf hinreißen läßt "Kaltschnäuzige Routine!" Von dem empörten Hausherrn höhnisch gefragt, ob er es vielleicht besser machen wolle, liest der Schüchterne den vorher kaum verständlich gewesenen Text in aller Einfachheit, ohne jede Aufmachung, liest ihn so, daß nicht nur das Publikum begeistert, sondern der Schauspieler bekehrt ist. Zwischen Kukulla und dem Schüchternen entspinnt sich danach ein langes Kafka-Gespräch, das seinem innersten Gehalt nach eine wechselseitige Hilfe zur Selbsterkenntnis ist, in die schließlich auch noch, mitten in der Nacht, der Professor hineingezogen wird. Aber dann kommt, nach vielen Geistesblitzen, vielen Erleuchtungen, ein "toter Punkt" im Gespräch: letztlich ist niemand wirklich verwandelt; die Frage, was von dem Mann, der in das Gesetz nicht eintreten kann, zu halten sei, bleibt schließlich doch ungelöst; alle blieben so, wie sie waren: der Professor verlogen, der Schauspieler vorlaut, der Schüchterne - eben schüchtern. Kafkas düsterer, gläubiger Pessimismus (oder seine pessimistische Gläubigkeit - man kann von ihm nur in Paradoxen reden) ist hier glänzend getroffen. Und alles bleibt offen - also doch nicht hoffnungslos. (Aus einer zeitgenösischen Rezension)

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Mitwirkende

Sprecher/SprecherinRolle/Funktion
Gerd MartienzenDer Schüchterne
Aribert WäscherDer Schauspieler Kukulla
Martin HeldDer Professor


 


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Quellen zum Hörspiel - © DRA/Michael Friebel


PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Sender Freies Berlin

Erstsendung: 24.02.1955 | 40'00


In keiner ARD-Rundfunkanstalt verfügbar


REZENSIONEN

  • N. N.: Funk-Korrespondenz. 02.03.1955.

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