Hörspielbearbeitung
Autor/Autorin:
Wolfgang Hilbig, Natascha Wodin
Nachtgeschwister, provisorisch
Vorlage: Das Provisorium (Roman), Nachtgeschwister (Roman)
Bearbeitung (Wort): Anja Schneider, Daniela Holtz
Komposition: Steffen Schleiermacher
Regie: Ulrich Lampen
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Martina Gedeck Sie Christian Redl Er Conny Wolter Moderatorin Susanne Stein Pflegerin Hilmar Eichhorn Trinker
Ein Bändchen mit Gedichten ist der Auslöser für eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, eine Obsession, eine quälende Verstrickung. Die Frau setzt alles in Bewegung, um den Verfasser der Zeilen zu treffen. „Schon von den ersten Zeilen ging eine Kraft aus, ein Licht, eine Dunkelheit, ein Schmerz, eine Schönheit,
eine Wucht.“ Die Stimme eines Seelenverwandten, die Stimme eines Verlorenen. Aber auch eines Gefundenen. Dieser scheint jedoch unerreichbar im anderen
Teil Deutschlands, im Osten. Dann darf der Mann die DDR plötzlich mit einem Reise-Visum verlassen. Beide begegnen und verlieben sich. Doch ihre gegensätzlichen Erfahrungen und Prägungen zermürben ihr Verhältnis. Denn der Mann ist anders, als sie ihn sich erfunden hat. Er kämpft gegen ein ständiges Gefühl
des Nichtgenügens, fühlt sich als DDR-Bürger minderwertig und misstraut seinen Fähigkeiten, seiner Potenz. Er quält seine Partnerin mit Anfällen krankhafter
Eifersucht, die auch in körperliche Gewalt umschlagen. Und obwohl er sich im Westen unwohl und fremd fühlt, obwohl er immer mehr in Alkoholexzessen
und Schreibhemmungen versinkt, lässt er den Termin für seine Rückreise verstreichen, wodurch der Osten für ihn unerreichbar wird.
Weitere Informationen
Wolfgang Hilbig wurde 1941 in Meuselwitz/Thüringen geboren. Sein Vater war
im Zweiten Weltkrieg bei Stalingrad eingesetzt und galt seitdem als vermisst. Nach
der achtklassigen Volksschule in Meuselwitz machte Hilbig eine dreijährige Lehre als Bohrwerkdreher. Nach seinem Dienst bei der NVA arbeitete er als Schlosser und
Heizer; seit 1980 als freiberuflicher Schriftsteller. Hilbig gilt als einer der bedeutendsten Dichter Deutschlands. Sein Thema und Trauma zugleich war die
DDR. Er sei "Autor der wichtigsten, unheimlichsten Bücher über die Landschaft, die
Menschen, die Nachtseiten der untergegangenen DDR", schrieb DIE ZEIT. 1985
übersiedelte er in die Bundesrepublik. Hilbig starb 2001.
Natascha Wodin wurde 1945 als Kind verschleppter Zwangsarbeiter aus der
ehemaligen SU in Fürth geboren. Sie wuchs in deutschen Nachkriegslagern für
"displaced persons" auf. Nach dem Besuch einer Sprachenschule gehörte sie zu
den ersten Dolmetschern, die nach Abschluss der „Ostverträge“ für deutsche
Firmen und Kultureinrichtungen in die SU reisten. Nach Aufgabe des Dolmetscherberufs begann sie Literatur aus dem Russischen zu übersetzen, seit 1980 ist sie freie Schriftstellerin. In ihren Werken setzt Wodin sich vor allem mit dem Thema der Entwurzelung, Fremdheit und Ortlosigkeit auseinander, mit Außenseiterexistenzen und Grenzgängern. In ihrem Roman "Nachtgeschwister" schildert sie eine komplizierte deutsch-deutsche Künstlerbeziehung, die deutlich autobiografische Züge trägt.
Produktions- und Sendedaten
- Mitteldeutscher Rundfunk / Deutschlandradio 2014
- Erstsendung: 01.12.2014 | MDR FIGARO | 78'55
Auszeichnungen
- Hörspiel des Monats Dezember 2014
Rezensionen (Auswahl)
- Andreas Matzdorf: Eine obsessive Schriftsteller-Beziehung. In: Funkkorrespondenz, Nr. 50 vom 12.12.2014, S. 31.