ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
Kleine Chronik der Osterwoche
Technische Realisierung: Gerd Bazin, Strache
Regie: Gert Westphal
"Die Kleine Chronik der Osterwoche ist in der Osterwoche 1962 in Ostberlin entstanden. Der Anlaß war eine Epidemie, die allerdings schon seit mehr als einem Monat diesen Teil der Stadt heimsuchte. Ich faßte und verwarf immer wieder aufs neue den Plan, die merkwürdigen Geschehnisse dieser Zeit aufzuzeichnen. Ich war erschreckt und abergläubisch und fürchtete, ich könnte durch dieses Unternehmen die Seuche auf meine Person ziehen und selbst erkranken. 'Am Sonntag Palmarum' ging ich, wie es ab und zu meine Gewohnheit war, auf einem großen parkähnlichen Friedhof spazieren. Da sah ich die neuen Gräber reihenweise und der Friedhof war an allen Ecken bereits aufgegraben für die frischen Lieferungen. Daraufhin beschloß ich, die Chronik dieser Epidemie zu schreiben." (Christa Reinig) – Dieser Text, in seiner aussparenden Knappheit typisch für die Sprache Christa Reinigs, verbirgt, daß es sich hier um ein dichterisches Gleichnis handelt. Während der Osterwoche ergreift die Cholera die Herrscahft der Stadt. Aber so furchtbar sie ist, ist sie doch keine Tyrannin. Eine "mildtätige Besitzerin" nennt sie der Chronist, denn sie hat die Gewalt der Machthaber gebrochen und ist zum Zeugnis dafür geworden, daß vor ihr alle gleich sind und kein Anspruch fortbesteht.