Hörspielbearbeitung
Autor/Autorin:
Tschingis Aitmatow
Abschied von Gülsary (1. Teil)
Vorlage: Abschied von Gülsary (Roman, russisch)
Übersetzung: Leopold Hornung
Bearbeitung (Wort): Heike Tauch
Komposition: Andre Matthias
Redaktion: Stefan Kanis
Technische Realisierung: Holger König
Regieassistenz: Matthias Seymer
Regie: Heike Tauch
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Valery Tscheplanowa Erzählerin Felix Goeser Der junge Tanabai Christian Redl Der alte Tanabai Julika Jenkins Dshaidar Nathalie Thiede Bübüdshan Winfried Glatzeder Tschoro Ulrich Gerhardt Torgoi Janus Torp Ibrahim Nils Andre Brünnig Buchhalter/Fahrer Tristan Becker Agronom Sandro Friedrich Riccardo Rocchi Christian Fotsch
Wohin strebt der Mensch; warum verschreibt er sich Zielen, die er nie erreichen wird. Wer trägt daran schuld? Und wem nützen diese Fragen - werden sie doch in aller Regel zu spät gestellt. Aitmatow reflektiert gleichzeitig poetisch und konkret Anspruch, Zweifel und Desillusionierung beim Aufbau der Sowjetmacht in Kirgisistan nach dem 2. Weltkrieg. Im Zentrum des Romans steht Tanabai Bakassow, Sohn eines kirgisischen Knechtes, glühender Parteigänger der Leninschen Revolution, Mitgründer der Kolchose in seinem Ail. Heimgekehrt aus dem 2. Weltkrieg, krempelt er die Ärmel hoch: Nun soll endlich, endlich alles besser werden. In diesen frühen Jahren trifft Tanabai auf einen einzigartigen Gefährten, den noch jungen Passgänger-Hengst Gülsary. Dieser Gülsary wird Aitmatow zum Helden, mehr aber noch zum Vertreter der beleidigten Schöpfung, der geschundenen, missachteten Natur. Der Passgänger Gülsary ist ihr Wappentier, eingespannt zwischen frühem Ruhm als uneinholbares Rennpferd und dem postwendenden Wunsch der höheren Kader, sich mit dem edlen Tier als ihr Eigentum schmücken zu können. Ihn trifft die Achtlosigkeit ebenso wie die Schafe, die Tanabai als einfacher Hirte durch den Winter bringen muss. Vom Menschen vermehrt und dann unter ärgsten Bedingungen nahezu allein gelassen, sterben viele einen jämmerlichen Tod. Tanabai ist zornig und ratlos: Wie konnte es soweit kommen? Statt besser wird alles nur schwieriger, die Schafe ohne Stall, die Menschen in löchrigen Jurten. Wie kann das sein, wo im Sowjetsystem doch alle für alle arbeiten? Und wie der einst unbesiegbare Gülsary nun im Kummet einen alten Karren zieht, ist auch sein früher Gefährte, der ihn nach vielen Jahren wiedersieht, gealtert und sprachlos. Ihm bleibt nur, Gülsary auf seinem letzten Weg ein Freund zu sein.
In einem eindrücklichen Epochenbild verknüpft Aitmatow die Lebensläufe des Passgänger-Hengstes Gülsary und des Hirten Tanabai zu einem berührenden Doppelportrait von früher Kraft, Lebenserfüllung, Scheitern und Tod.
Weitere Informationen
Tschingis Aitmatow (geboren 1928 in Scheker, gestorben 2008 in Nürnberg) wuchs als ältestes von vier Kindern im Talas-Tal in Kirgistan zweisprachig (russisch/kirgisisch) auf. Sein Vater wurde 1937 im Zuge der stalinistischen Säuberungen erschossen und 1956 rehabilitiert. Aitmatow lernte an einem Veterinär-Technikum und arbeitete als Tierzüchter. Erste literarische Texte, Abschluss des Moskauer Gorki-Literaturinstituts mit „Dshamila“ (1959). Für „Abschied von Gülsary“ erhielt er 1968 den Sowjetischen Staatspreis für Literatur. Trotz seines sich immer deutlicher ausbildenden ethisch-ökologischen Weltbildes konnte Aitmatow in der Sowjetunion publizieren. Sein Roman „Die Richtstatt“ (1986) wurde zum wichtigen Meilenstein der geistig-literarischen Perestroika. Das Buch erfuhr auch in der DDR starken Zuspruch. Nach der Auflösung der Sowjetunion wurde Aitmatow Botschafter der Russischen Föderation und weiterer GUS-Staaten in Luxemburg, ab 1995 vertrat er Kirgistan diplomatisch in Belgien, Frankreich und der EU. Seine in dieser Zeit veröffentlichten Romane „Das Kassandramal“ (1994) und „Der Schneeleopard“ (2007) wurden von der Literaturkritik zurückhaltend aufgenommen, fanden aber in Deutschland, wo er seine größte Leserschaft hatte, noch einmal viel Resonanz. Aitmatow war von 1983 bis zu seinem Tod Mitglied der Europäischen Akademie der Künste und Wissenschaft.
Produktions- und Sendedaten
- Mitteldeutscher Rundfunk 2021
- Erstsendung: 25.12.2021 | MDR KULTUR | 18:00 Uhr | 78'06