Originalhörspiel
Autor/Autorin:
Bertolt Brecht
Lindberghflug
Brechts "Generalprobe"
Szenisch-konzertante Bearbeitung vom 28. Juli 1929
Radio-Demonstration, lokal aufgeführt
Komposition: Paul Hindemith, Kurt Weill
Musikalische Leitung: Hermann Scherchen
Regie: Bertolt Brecht
Um zu verhindern, dass Brecht die im Programm nach dem Vortrag von Karl Willy Wagner über Rundfunkprobleme angekündigte »öffentliche Generalprobe« des "Lindberghflug" zu dessen Uraufführung umfunktionierte, setzte die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) die Aufführung im Bühnensaal des Kurhauses am Vormittag des 27. Juli ersatzlos ab und sorgte auf diese Weise dafür, dass das audiophone, aufs Gehör konzentrierte Experiment am späten Nachmittag desselben Tages den Vorrang erhielt: Die Uraufführung von "Der Lindberghflug", so der Titel nach dem Programm, fand als "Originalmusik für Rundfunk" in den Kleinen oberen Sälen des Kurhauses über Lautsprecher als Radio-Übertragung, als reines Hörspiel, statt. – Brecht durfte erst am Nachmittag des Folgetags, am 28. Juli 1929 die szenisch-konzertante Inszenierung seines Stücks im nicht mehr benötigten Bühnensaal des Kurhauses aufführen. Diese stieß, obwohl sie nicht mehr angekündigt werden konnte, auf »stärkstes Interesse«. Brechts Inszenierung widersprach dem Konzept der RRG, die ausdrücklich weder ein Konzert noch eine szenische Darstellung vorsah. Die Aufführung Brechts war vielmehr, wie Hans Flesch urteilte, lediglich eine »Demonstration […] am durchaus ungeeigneten Beispiel, sodass die Wirkung des "Lindberghfluges" am Tage vorher am Lautsprecher viel größer war als im Konzertsaal«. Überliefert sind Fotos vom Szenenarrangement. – Brechts erklärte Intention dagegen war: Alle an der Aufführung beteiligten Künstler und Apparate (Mikrophon, Instrumente, Geräuschmaschinen u.a.), die als Urheber von Musik und Spiel im Radio verborgen blieben, auf einem Podium sichtbar zu präsentieren. Auf diese Weise sollte das »Zustandekommen des Kunstaktes« offen gezeigt und der in den Apparaten (Rundfunk/Radio = Sender/Empfänger, Hörer) verborgene und damals als >magisch< erscheinende »Zauber« der Technik als ein bloß der Anschauung entzogenes Funktionieren des Zusammenspiels von Mensch und Technik demonstriert werden. Darüber hinaus setzte Brecht ausgerechnet die Hauptfigur, hier >Lindbergh<, als den Hörer ein, der sich nicht in die Darbietung versenken, vielmehr an ihr aktiv durch Mitsingen bzw. Deklamieren beteiligen sollte (deshalb die Textdrucke der sendereigenen Zeitungen); Brecht nannte dies später die »Aktivisierung« (statt »Aktivierung«) der Empfänger, um das – vor allem bei Musiksendungen naheliegende – freie Assoziieren bzw. die bloß gefühlige Anteilnahme der Rezeption zu verhindern. – Dazu teilte Brecht das Podium in zwei Hälften: Links waren Ensemble, Chor und Sprecher platziert (»der Radioapparat«), rechts, durch einen Paravent abgetrennt, saß in Hemdsärmeln der Darsteller des Lindbergh, der zugleich den »Hörer« verkörperte, und deklamierte den Gesangspart des Lindbergh, der von den Hörern am Radiogerät zuhause selbst übernommen werden sollte. In der Mitte stand der »Funkkopf«, das Mikrophon, als der Apparat, der nicht mehr als >Zauber<, sondern als technische Gerätschaft das Geschehen auf dem Podium in elektrische Signale übertrug. – Die voranstehenden Angaben beruhen auf den Erkenntnissen der Brecht-Forschung, vertreten durch die Arbeitsstelle-Bertolt-Brecht (ABB) am KIT (Karlsruher Institut für Technologie), Leitung: Prof. Dr. Jan Knopf.
Weitere Informationen
Bertolt Brecht (1898−1956), Lyriker, Dramatiker, Theaterregisseur und -theoretiker. Mit Helene Weigel 1949 Gründung des Berliner Ensembles. Weitere Hörspieladaptionen u.a. Leben des Galilei (BR/DRS 1960), Der Ozeanflug (SWR 1966), Aus dem Lesebuch für Städtebewohner (DLF/BR/WDR 1997), Hangmen Also Die (mit Fritz Lang, BR 2005), Trommeln in der Nacht (RBB 2020). (Biographische Notiz von 2023)
Die Ausstrahlung der Generalprobe war für den 27.07.1929 geplant und wurde so auch in der Programmzeitschrift "Der Deutsche Rundfunk" angekündigt. Nach den Erkenntnissen der Brecht-Forschung wurde sie allerdings nicht gesendet.

Produktions- und Sendedaten
- Schlesische Funkstunde AG (Breslau) 1929
- Erstsendedatum nicht bekannt
Livesendung ohne Aufzeichnung
Grundlage der Datenerhebung: Der Deutsche Rundfunk (Programmzeitschrift)
Rezensionen (Auswahl)
- Heinrich Strobel.: Kritik - Rundfunkmusik in Baden-Baden: Der Deutsche Rundfunk. 7. Jahrgang. 01.08.1929. Heft 31. S. 1003.
- Heinrich Strobel: Originale Hörspiele für Rundfunk. In: Der Deutsche Rundfunk, 7. Jg., Heft 32, 09.08.1929, S. 1015f.