ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel, Musikalisches Hörspiel
Leben in dieser Zeit
Ursendung
Hörspiel- und Kompositionsauftrag IV
Hörfolge für Musik
Komposition: Edmund Nick
Regie: Friedrich Bischoff
"Wenn Erich Kästner Lyrik schreibt, so weiß man, von welcher Art sie ist. Keine abstrakte Knallbonbon-Versklingelei, sondern aus der vollen Realität des Lebens, wie es nun einmal ist, schöpfende, ehrliche, von Herzen kommende und zu Herzen gehende Gefühlsreportage, wenn solche Bezeichnung einmal erlaubt ist. Durch die drei Sätze der Funksuite zieht sich die Gestalt des Kurt Schmidt, eines Durchschnittsmenschen. Es ist das Zeichen der Zeit im allgemeinen und die spezifische Note des Funks im besonderen, dass beide die traditionellen Heldenkomplexe abzureagieren beginnen. Die klassische Dramaturgie lehrt zwar, dass der Held kein Engel und kein Teufel sein dürfe (um das Menschlich-Natürliche nicht allzu hart Lügen zu strafen) - aber ein Held musste es sein! Nun: Man denkt heute anders über Helden und Heldenverehrung - her also mit dem Durchschnittsmenschen, her mit Kurt Schmidt!" (H.U.: Der Deutsche Rundfunk, 7. Jg., Heft Nr. 49 vom 6. Dezember 1929, S. 1549)
„Am 14. Dezember wird im Breslauer Senderaum die Suite ‚Leben in dieser Zeit‘ zur Ursendung kommen. Sehr schnell führt das Gespräch über dies bevorstehende Ereignis den musikalischen Leiter der ‚Schlesischen Funkstunde‘, der sich in stiller, beharrlicher Arbeit um die Ausgestaltung funkischer Musik große Verdienste erworben hat, auf die Kompositionsaufträge, für die sich Edmund Nick frühzeitig einsetzte, und mit deren Vergebung vor etwa anderthalb Jahren hier in Breslau begonnen wurde. Auf die Frage, ob diese Aufträge bei der Hörerschaft nicht einer gewissen Skepsis begegnet wären, glaubt Dr. Nick feststellen zu müssen, dass es erst eine ganze Anzahl Skeptiker gab, die einen Wert mit dem Hinweis nicht anerkennen wollten, dass ein Kunstwerk aus innerem Drange heraus geschrieben sein müsse, weil die Phantasie eines Schöpfers nicht befehlsgemäß zu arbeiten beginne. Aber selbst eines Johann Sebastian Bachs ‚Kantaten‘, Mozarts ‚Requiem‘, Verdis ‚Aida‘ täten diesen Zweiflern nicht den Gefallen, schwächere Werke geworden zu sein, obwohl sie auftragsgemäß komponiert worden sind. Diesen Einwand hat also die Musikgeschichte selbst widerlegt. Für die Zukunft des Rundfunks haben die Kompositionsaufträge große Bedeutung, weil alte Formen in neuem Gewande erschienen, bisweilen sogar neue Formen gefunden wurden. So wird, z. B. eine Ursendung im Januar zu erweisen haben, dass die Form der Kantate, ins Weltliche und ins textlich Zeitgemäße übersetzt, dem Rundfunk besonders angepasst ist. Gleichfalls eine neue Form für literarisch-musikalische Veranstaltungen scheint in der lyrischen Funksuite, d. h. einer Verbindung von gesprochenen und gesungenen Versen zu einem einheitlich geschlossenen Hörakt, gefunden zu sein. Die Suite ‚Leben in dieser Zeit‘, diese Dichtung von Erich Kästner, ist nach Meinung Edmund Nicks rein funkisch; unmöglich, sie mit den wenigen Stimmen irgendwie anders zu bringen. So birgt sie für den Komponisten Nick, als einem dem Rundfunk und seiner Eigenart innig verbundenen Künstler, starke Anregungen. Die ‚Geräuschmontage‘, die der Textdichter vor jedem der drei Sätze verlangt, wird nicht naturalistisch, z. B. durch Einschaltung eines stark belebten Verkehrspunktes gebracht, sondern ist rhythmisch stilisiert. Schreibmaschinen, von denen die Tippmamsells im Refrain eines ‚Liedes mit Damenchor‘ singen, werden mittels Klavier und Xylophon charakterisiert. Ja. Als für das Ganze typisch sieht der Komponist den Sang ‘Man müsste wieder‘ an, der als Blues erscheint. Die Dichtung selbst enthüllt nach dem ersten Eindruck aus dem Manuskript den seelenlosen Betrieb unserer Zeit, scheut sich auch nicht, zu diesem Zweck die Bilder in grotesker Verzerrung zu zeigen. Ob ein Gewinn, ein Erfolg gebucht werden darf, wird die Sendung zu hören und zu entscheiden geben.“ (A. J. in: Funk: Wochenschrift des Funkwesens, Heft Nr. 50, 13.12.1929, S. 228)