ARD-Hörspieldatenbank
Hörspielbearbeitung
Combray (1. Teil)
Vorlage: Combray (Roman, französisch)
Übersetzung: Michael Kleeberg
Bearbeitung (Wort): Valerie Stiegele
Komposition: Peter Zwetkoff, Hans Platzgumer
Technische Realisierung: Hans Scheck, Susanne Herzig
Regieassistenz: Stephanie Samesch
Regie: Ulrich Lampen
"Lange Zeit habe ich mich zu früher Stunde schlafen gelegt." Mit dem ersten Satz von Marcel Prousts Romanzyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" richtet sich der Blick auf die Erinnerung. In seinen schlaflosen Nächten ruft sich der schwerkranke Erzähler seine Kindheit ins Gedächtnis: die Ferien in Combray, den Geschmack einer in Tee getauchten Madeleine, den Duft der Weißdornhecke, die Kirchtürme von Martinville und den schillernden Monsieur Swann. "Combray" ist die Ouvertüre zu Prousts gewaltigem Hauptwerk, das in Frankreich zwischen 1913 und 1927 in dreizehn Einzelbänden erschien und gut viertausend Seiten umfasst. Marcel Proust war selbst an sein Krankenbett gefesselt, als er die Salons, Parks und Schlafzimmer der Belle Epoque in Sprache fasste, um zu erkunden, auf welche Weise das Vergangene im Bewusstsein präsent ist. Das Zusammenspiel von lebendiger Erinnerung und Selbstreflexion wird in der ersten deutschsprachigen Hörspielfassung von "Combray" akustisch nachvollziehbar. Prousts Sprache ist manchmal sperrig, manchmal von surrealistischer Kühnheit und Komik in ihren assoziativen Sprüngen. Immer muss man ihr bis in die feinsten Verästelungen folgen, um sie getreu wiederzugeben. Das Hörspiel basiert auf Michael Kleebergs Neuübersetzung, die 2002 in der Verlagsbuchhandlung Liebeskind erschienen ist; sie überträgt Prousts Stil auf moderne Weise und bleibt zugleich näher als bisherige Übersetzungen am Original. "Wenn sich das literarische Gewicht eines Buches im physikalischen ausdrücken würde, wären unter jedem Bord, auf dem 'Combray' steht, Stahlstreben angebracht. Wenn die besten Bücher Licht emittieren könnten, würde im fleckigen Halbdunkel der Bibliothek ein goldener Ziegel leuchten, die 'Recherche'." (Michael Maar in "Die Feuer- und die Wasserprobe. Essays zur Literatur"). "Kleebergs Übersetzung ist - wie die Aufführung einer Sinfonie - eine Interpretation, eine von hohem Rang zudem, und der schönste Anstoß für alle, die vor den 4000 Seiten der vollständigen 'Recherche' bisher zurückgeschreckt sind, mit dem neuen 'Combray' einzusteigen. Denn in diesem ersten Teil des ersten Teils sind alle Themen und Motive schon vorhanden, stecken wie Keimlinge ihre Köpfe aus der Erde, um in den folgenden Bänden die ganze Pracht ihrer Blüten zu entfalten." (Martin Eben in "Die Welt").
Marcel Proust (1871-1922) wurde in Auteil als Sohn eines Pariser Arztes und einer elsässischen Jüdin geboren. 1878 verbrachte die Familie ihre Ferien in Illiers, das später zu Ehren Prousts in Illiers-Combray umbenannt wurde. Proust studierte Jura, ohne Abschluss, und Literaturwissenschaft. 1895 begann er mit der Arbeit an dem Roman "Jean Santeuil", der unvollendet blieb. 1896 erschien "Freuden und Tage", eine Sammlung von Texten. Finanziell unabhängig, verkehrte er schon früh in den Salons der Pariser Aristokratie. 1903 starb sein Vater, zwei Jahre später die Mutter. Die Asthma-Anfälle, an denen Proust seit seiner Kindheit litt, verschlimmerten sich. Es folgte der Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben in sein schallisoliertes, mit Kork ausgeschlagenes Zimmer. 1912 beendete er "Unterwegs zu Swann", den ersten Band seines Hauptwerks "A la recherche du temps perdu", der 1913 auf Kosten des Autors erschien. 1919 erhielt er für den zweiten Band den Prix Goncourt. Als er am 18. November 1922 starb, waren erst zwei Drittel des Monumentalwerks publiziert. Heute gilt Proust als einer der Begründer der literarischen Moderne.
Michael Kleeberg, 1959 in Stuttgart geboren, ist Schriftsteller und Übersetzer und lebt in Berlin. Zu seinen Erzählungen und Romanen zählen u.a. "Der Kommunist vom Montmartre" (1997) und "Der König von Korsika" (2001). Er erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Anna-Seghers-Preis (1996) und den Lion-Feuchtwanger-Preis (2000).