Hörspiel
Autor/Autorin:
Miklos Hubay
Die Sphinx
übersetzt aus dem Ungarischen
Übersetzung: Stefan Romhanyi
Regie: Gustav Burmester
Weitere Mitwirkende
Sprecher/Sprecherin Rolle/Funktion Nicole Heesters Jokaste, Königin von Theben Kurt Ehrhardt Teiresias, blinder Prophet Christoph Quest Oidipus
Zu seinem Hörspiel "Die Sphinx", eine eigenwillige, politischverschlüsselte
Version des antiken Ödipus-Stoffs, an dem ihn vor allem
das Rätsel der Sphinx faszinierte, hat Hubay einen ausführlichen
Kommentar geschrieben. Er kam auf die Idee, Jokaste, die Mutter des
Ödipus, zur Sphinx von Theben zu machen, die diese
institutionalisierte Funktion aus politischen und persönlichen Gründen
ausübt. In seiner Einführung erläutert der Autor, welche Überlegungen
ihn veranlassten, diesen zunächst verblüffenden Schluss zu ziehen und
durch eine chiffrierte Deutung das Geheimnis der Sphinx zu
entmystifizieren und das Ende ihres terroristischen Zaubers als
"Abschied von den Requisiten" zu definieren: "Die rätselstellende
Sphinx ist selbst ein ewiges Rätsel. Wir wissen, dass sie sich
umbrachte, als Ödipus bei ihr war. Ihre Funktion bestand darin, die zu
ihr kommenden Fremden nach dem unter vier Augen geführten Dialog zu
töten. Oft hat man sie mit den Gebeinen niedergemezelter junger Männer
dargestellt. Ödipus aber tötete sie nicht. Im Gegenteil: Nach dem
Zwiegespräch brachte sie sich selber um. Mit diesem Selbstmord bahnte
sie Ödipus den Weg zum Thron und - ins Bett seiner Mutter.
Der Ödipus-Komplex und der Sphinx-Komplex gehören zusammen; denn kein
Familienfluch der Labdakiden, keine Unterweltsfügung, keine mit
Orakeln spielende Gottheit, kein falscher Mechanismus ist so sehr für
Ödipus' Sünde verantwortlich, wie die Sphinx selbst, die ihn auf dem
verhängnisvollen Weg hätte aufhalten können und statt dessen gerade
diesen Weg für ihn frei machte. Obwohl sie alles gewusst hat. Erstens
deshalb, weil sie allwissend oder fast allwissend war. Zweitens, weil
sie ihre Besucher ausfragte. So auch Ödipus. Wer also war diese
Wunderspinne, die ihre Opfer in dem Netz metaphysischer Probleme
einfing?
Und ihr Äußeres? Löwenkörper, Greif-Vogel-Flügel, Metallbrüste und
riesiger ägyptischer Kopfschmuck. Das lässt auf Gaukelei der Schamanen
schließen. Denn dieses gefürchtete und seltsame Ungeheuer war, wenn
man seine Funktion untersucht, ein überaus wichtiges Instrument der
Staatsgewalt, eine Art Fremdenpolizei, die die nach Theben kommenden
Touristen ins Kreuzverhör nahm. Aber wenn dies ihre Funktion war,
warum hat sie beim Erscheinen des Ödipus versagt? Und warum hat sie
all dies mit ihrem Selbstmord, mit dem mutigen Sprung in die Tiefe
gekrönt, der zugleich auch Thebens Sensation, dem Sphinx-Kult und der
Sphinx-Panik, ein Ende setzte?
.
Der Dramatiker, der dem Löwenfell der Sphinx nur mit - seinem Handwerk
gemäßen - kriminalistischen Methoden beikommen kann, entdeckt darunter
eine 30- bis 35jährige Frau - und diese Frau ist Jokaste, die Königin.
.
Nur sie hat Ödipus so sehr geliebt, dass sie für ihn zu allem bereit
war. Bereit auch, die Fremde wie Einheimische terrorisierende Maschine
Thebens zur Hölle fahren zu lassen. Sie musste handeln. Es ging um das
Leben ihres Sohnes.

Produktions- und Sendedaten
- Westdeutscher Rundfunk 1968
- Erstsendung: 24.04.1968 | WDR 1 | 39'30