ARD-Hörspieldatenbank


Originalhörspiel
Orpheus
Ein Stück von Rudolf Leonhard
Regie: Carl Stueber
Orpheus, dem größten Sänger, ist die Gattin Eurydike vom Tod entrissen worden. Aber seiner Kunst wegen geben ihm die Götter das Recht, in die Unterwelt hinabzusteigen und die Geliebte zurückzuverlangen. Ein Hirtenmädchen, Phoebe, führt ihn den schrecklichen Weg zum Nichts, den sie kennt, da ihr das einfache Leben der Tiere vertraut ist. Orpheus erzählt ihr, deren rasch entbrannte Liebe er wohl spürt, vom Leben und dem Tode Eurydikes. Als sie ihn verlassen muß, nehmen ihn die Wächter der Hölle, zwei skurielle Riesen, in Empfang. Hadas läßt ihn vor sich führen. Halb bezwungen von Orpheus' Gesang stellt er diesem frei, dem herangeführten Schatten Eurydikes, diesem Nichts im Nichts, mittels der Magie seines Rufes und seines Liedes Leben einzuflößen; er tut es, weil er, der Tod, selbst einmal überwunden werden möchte. Orpheus zaubert sich eine Harfe; er ruft, er singt, daß Eurydike allmählich erwacht und ihn erkennt. Hadas, dankbar, will beide gehen lassen; aber er muß Orpheus daran erinnern - hier ist die Lage, in der Orpheus sich nicht nach Eurydike umschauen darf, verändert - , daß die Magie nur einmal wirkt, die Kraft des Wunders erschöpft ist: er darf Eurydike nicht bei Namen rufen. Der triumphierende Orpheus hält diese unwillig übernommene Pflicht für leicht. Sie gehen, von den Wächtern geleitet. Aber ein wenig haben auch die anderen Toten von Orpheus' LIed erfaßt, halb sind auch sie, denen es nicht galt, erwacht. Sie schweben und drängen sich nun um die Gehenden und stellen die Frage der Gerechtigkeit: "Warum diese? Warum nicht wir?" In der höchsten Angst um sein eigenes Leben, das den Tod ringsherum nicht versteht, ruft Orpheus Eurydike zu Hilfe, und sie löst sich auf, wie sie vorher Leben gewonnen hat; süß, ganz fern, klingt noch einmal ihre Stimme durch die Unterwelt. Orpheus entzieht sich der Grobheit der Wächter und kehrt in die Welt zurück, wo Phoebe ihn erwartet; in ihrem Schoße wird er, gleichgültig gegen Tod un Leben, von den Mänaden zerrissen. (Der Deutsche Rundfunk. 7. Jahrgang. Heft 17. 26.04.1929. S. 526)