ARD-Hörspieldatenbank
Originalhörspiel
90° 0‘ 0‘‘ S
mit Texten aus ihrem Gedichtband "Halb Taube Halb Pfau"
Regie: Milena Kipfmüller, Klaus Janek
"Nimm meinen Schädel in die Hand je eine Schläfe, und
justier meinen Schlaf Richtung Süden, wo die Pole längst
schmelzen, an den Kappen schon Schollen und das Land
längs meiner weißen Angst heißt Antarktika, heiß wa? –
Du hängst mir unter der Kopfhaut zu den Sohlen raus,
bis zu den Antipoden, wo zu meinen Füßen fläzt mein
Schädel und sonnt sich in seiner geographischen Breite
90° 0‘ 0‘‘ S steck mir ein Senklot südlich ins Hirn, nimm
den Kopf in die Hand wie ein bauchiges Glas, schwenk
aus, lass tropfen, schenk reines Eis nach, den Schmelz
bringen wir schon ins Lot noch mit der Rotation der Achsen.
Kalt hier? Lass schlafen."
90° 0‘ 0‘‘ S – der geografische Südpol, der auf dem Kontinent
Antarktika unter dem ewigen Eis liegt, wird zum
Ausgangspunkt einer Erkundung. Eine Stimme schlägt
Schneisen ins Land. Tiefst möglich beugt sie sich über
die Häufchen dessen, was sie auftreiben konnte, und sie
sticht darin herum. Und sie spricht sie an: "Guten Tag, ich
habe eine Bestellung aufzugeben. Ich soll das Land hier
bestellen. Bestellt das Land mit Folgendem. Es geht um
eine große Besorgung." Ihr intimes, fast solipsistisches Sprechen wird flankiert und unterbrochen von anderen
Stimmen, Gegenreden, Du-Ansprachen. Die Stimmen
und Berichte aus dem Land überlagern sich, verstummen
und treten an anderer Stelle wie Echos und Erinnerungen
wieder auf. Kopflandschaften und Kontinente
schieben sich ineinander. Und vielleicht ist es so: An diesen
Schollen ist das Land zusammengenäht. Hier wird
es reißen.
Die Texte bedienen viele sprachliche Register, entwickeln
eine eigene Melodie, eine Partitur voller Humor, ebenso
unterhaltsam wie hochliterarisch und poetisch.
Mit der Regisseurin Milena Kipfmüller und dem Komponisten
Klaus Janek, die seit 2013 auch im Künstler-Duo
an der Schnittstelle von Performance, Radio- und Klangkunst
arbeiten, übersetzt die Autorin die Textlandschaft
in eine Soundlandschaft.
Maren Kames, geboren 1984 in Überlingen, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in Berlin. Für ihr Debüt "halb taube halb pfau" wurde sie u.a. mit dem Anna Seghers Preis und dem Kranichsteiner Literaturförderpreis ausgezeichnet. In den Jahren vor und nach Erscheinen übersetzte sie das Textmaterial in Live-Hörspiele, Installationen und Performances, u.a. im Haus der Kulturen der Welt, der Galerie Johann König und den Literaturhäusern Freiburg und Stuttgart. Ihr zweites Buch "Luna Luna" wird 2019 erscheinen.