ARD-Hörspieldatenbank


Originalhörspiel



Luise Voigt

Fünf Flure, eine Stunde

Hörspiel in einem Take


Komposition: Milena Kipfmüller, Klaus Janek

Redaktion: Cordula Huth

Dramaturgie: Cordula Huth

Technische Realisierung: Thomas Rombach, Melanie Inden

Regieassistenz: Herta Steinmetz, Melanie Inden


Regie: Luise Voigt

Ein langes, reiches, eigenständig geführtes Lebens steht nicht selten im Widerspruch zu dem, was die meisten von uns an dessen Ende erwartet: die letzten Lebensjahre im Altenheim. Unweigerlich entstehen an diesem Ort Ambivalenzen auf vielen Ebenen. Während den Bewohnern nur noch wenig Zeit in ihrem Leben bleibt, steht auch das Pflegepersonal - wenn auch auf ganz andere Weise - unter hohem Zeitdruck. So begegnen sich Helfende und Hilfebedürftige unausweichlich eingezwängt in die Taktung des Betriebs. Hinter den vermeintlich banalen Gesprächen über das Wetter, den gewünschten Brotbelag und das gesundheitliche Befinden tritt vor allem eines zum Vorschein: die Ausweglosigkeit des Seins in der Zeit, die gnadenlos voranschreitet, ohne die Möglichkeit einer nachträglichen Korrektur oder Einflussnahme.

„Fünf Flure, eine Stunde" ist ein Wahrnehmungsspiel. Alles was wir hören ist echt, und ist es auch wieder nicht.

Luise Voigt wirft einen neuen, angst- und vorurteilsfreien Blick auf diese letzte Etappe des Lebens. In fünf Fluren von Alteneinrichtungen haben sie und ihr Team 0-Töne aufgenommen. Und zwar am selben Tag (dem 20. Mai 2019) und zur selben Stunde (jeweils von 8 bis 9 Uhr). Diese fünf Stunden wurden als reiner Klang übereinandergelegt, transkribiert und durch junge Schauspieler nachgesprochen. Sie spielen exakt zurück, was tatsächlich stattgefunden hat. Aufgenommen in nur einem Take ist auch die Produktionsweise analog zum Material, die Aufnahme eines einzigen Livetakes ohne Schnitt und ohne vorproduzierte Musik oder Geräusche.

Für den Studioprozess bedeutet dies einen enormen Konzentrationsaufwand: Läuft in der Vorlage jemand hektisch mit dem Schlüssel in der Hand durch einen Gang, verteilt sich dieser Vorgang im Reenactment auf mindestens fünf Akteur*innen: Eine für die Schritte, ein zweiter für das hektische Atmen, eine dritte für den Schlüssel in der Hand, ein vierter für die Einsätze und eine fünfte für den Klang. Was wie ein konzeptuelles Konstrukt wirkt, wird bald als Verdopplung der Situation im Pflegeheim erfahrbar: Alle Beteiligten stehen unter gewaltigem Zeitdruck, dürfen aber den Kontakt zueinander nie verlieren, brauchen höchste Aufmerksamkeit füreinander.

Entstanden ist eine performative Auseinandersetzung mit dem Lebensraum Altenheim, realisiert durch die Überführung der Zeitlichkeit des Pflegeheims in den Aufnahmeprozess. Sprache und Handlungen geben zu erkennen, was uns in der modernen Lebensrealität permanent umfasst: der eine Take, der unser Leben ist.

Luise Voigt, geboren 1985, Regisseurin, Autorin, Medienkünstlerin. Studium der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen. Sie inszeniert in der freien Theaterszene, an staatlichen Bühnen und realisiert Hörspiele. 2005 Weimarer Hörspielpreis für ihr Erstlingswerk „Weltall-Erde-Mensch“, entstanden im Rahmen eines Hörspielseminars bei Heiner Goebbels im ersten Studienjahr. 2009 Stipendiatin an der Akademie der Künste Berlin in der Sektion Film- und Medienkunst. Hörspiele u.a. „Ausbrennen – Songs von der Selbstverwertung oder Melodien für den Feierabend“ (SWR 2013), „The Black Hole Radio“ (SWR, Hörspiel des Monats Juni 2015), „Holzschnitzer – wo ist denn die Sonne direkt über uns?“ (Deutschlandradio Kultur 2016). Regie und Bearbeitung bei „Die Jahre“ von Annie Ernaux (HR 2018) und „Heterotopia“ (Deutschlandfunk Kultur 2018). Zuletzt: Regie von ‚In Stanniolpapier‘ von Björn SC Deigner (SWR 2019, Hörspiel des Monats).  Luise Voigt lebt in Berlin.

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Mitwirkende

Sprecher/Sprecherin
Lisa Charlotte Friederich
Nele Niemeyer
Anna Sonnenschein
Philippe Ledun
Pirmin Sedlmeir

Sonstige Mitwirkende
Arne Köhler

Musik: Milena Kipfmüller, Klaus Janek
Pirmin Sedlmeir (Pfleger 1, Frankfurt) | ©HR/Ben Knabe

Pirmin Sedlmeir (Pfleger 1, Frankfurt) | ©HR/Ben Knabe

Pirmin Sedlmeir (Pfleger 1, Frankfurt) | ©HR/Ben Knabe
Lisa Charlotte Friederich (Pflegerin 2, Frankfurt) | ©HR/Ben Knabe
Nele Niemeyer (Pflegerin 1, Wiesbaden) | ©HR/Ben Knabe
Anna Sonnenschein (Pflegerin 2, Wiesbaden) | ©HR/Ben Knabe
Philippe Ledun (Pfleger 3, Wiesbaden) | ©HR/Ben Knabe
Luise Voigt (Regie) | ©HR/Ben Knabe

Luise Voigt (Regie)
©HR/Ben KnabeLuise Voigt (Regie)
©HR/Ben Knabe



PRODUKTIONS- UND SENDEDATEN

Hessischer Rundfunk / Südwestrundfunk / Deutschlandradio 2019

Erstsendung: 19.01.2020 | hr2-kultur | 14:04 Uhr | 53'35


REZENSIONEN

  • Eva-Maria Lenz: Eindimensionales Endspiel. In: epd medien. Nr. 4. 24.01.2020. S. 38.
  • Stefan Fischer: Vielschichtig. In: Süddeutsche Zeitung vom 16.01.2020. S. 15.
  • Christian Hörburger: Bis dass der Ton... In: Medienkorrespondenz Nr. 2. 31.01.2020. S. 41.

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