ARD-Hörspieldatenbank
Hörspiel im 21. Jahrhundert
Im 21. Jahrhundert zeigt die Gattung Hörspiel wie zu ihren Anfängen eine große inhaltlich-formale Vielfalt. Das unterhaltende Stück steht neben literarisch Anspruchsvollem, das Kürzesthörspiel neben der Großproduktion, Nähe zu Dokumentarischem neben Klangkunst.
In der Geschichte des Hörspiels war die Nutzung technischer Innovationen stets stilbildend. Es überrascht nicht, dass die digitale Revolution, die mit dem Ende des 20. Jahrhunderts einsetzte, auch das Hörspiel beeinflusst. Die Digitalisierung verändert nicht nur den Herstellungsprozess, sondern prägt damit auch Hörspielästhetik und -dramaturgie. Opulente Soundeffekte und Musik treten oftmals in den Vordergrund, der Sprechstil ändert sich durch Möglichkeiten technischer Zusammensetzung von Stimmen, Klängen und Geräuschen.
Vor allem können nun Hörspiele auch losgelöst von der großen Studiotechnik der Sendeanstalten produziert werden. Zum Angebot der Hörspielprogramme in der ARD gehören seitdem vermehrt freie Autorenproduktionen. Sie sind überwiegend auf klangkünstlerische Realisierungen konzentriert, während das literarische Hörspiel mit einer Vielzahl von Sprechern nach wie vor programmatischer Schwerpunkt der öffentlich-rechtlichen Hörspielproduktion ist.
Seit den 1990er Jahren ist ein neues Interesse an der Adaption großer literarischer, oft auch populärer Stoffe internationaler Provenienz zu beobachten. Viele mehrteilige Großprojekte werden realisiert. Oftmals geschieht dies in Kooperation mit Hörbuchverlagen, die seit rund zwanzig Jahren einen Boom erleben. Urheberrechtliche Gründe führen dabei zu einem Wiedererstarken von genuiner Hörspielmusik. Originalhörspiele werden weitaus seltener publiziert.
Die Hörspielredaktionen der einzelnen Rundfunkanstalten zeigen mit ihren Produktionen nach wie vor ihr je eigenes Profil. Neben die regionalen Angebote treten senderübergreifende Aktionen und Produktionen, wie die ARD-Hörspieltage in Karlsruhe, die 2013 ihr zehnjähriges Bestehen feiern konnten, das Radio-Sommerfestival oder die Krimiserie "ARD Radio Tatort", die seit 2008 bundesweit ausgestrahlt wird.
Produktion und Rezeption des Hörspiels ist nicht länger allein Sache des Radios mit seinen Kulturprogrammen. Eine bemerkenswerte Entwicklung der vergangenen Jahre besteht darin, dass sich die traditionelle Sende- und Empfangssituation, die das Radio bereitstellt, zunehmend auflöst. Die Verfügbarkeit akustischer Kunst auf CD, MP-3 oder als Download in den Internet-Mediatheken der Rundfunkanstalten ermöglicht zeitsouveräne und ortsunabhängige Rezeption. Das Hörspiel "verlässt" das Radio und wird öffentlich in Theatersälen und Kinos oder unter dem "Sternenhimmel" aufgeführt, oft auch vor Publikum live inszeniert. Das Hörspiel wird Element der allgemeinen Event-Kultur.
Die zunehmend beobachtbare Konvergenz der Print- und audiovisuellen Medien im Internet stellt das Hörspiel als einstmals radiogebundene lineare Kunstform vor neue Herausforderungen. Das betrifft nicht nur die Verbreitungs- und Rezeptionsbedingungen, sondern auch Konzeption, Ästhetik und Dramaturgie. Das Hörspiel zeigt sich grundsätzlich offen für mediale Grenzüberschreitungen und Experimente. Visuelle Aspekte finden Eingang in Hörspielkonzeptionen, wie die Illustrationen zum "ARD Radio Tatort" im Internet zeigen, oder auch begleitende Ausstellungen wie das HörspielRaum-Projekt von Deutschlandradio. Mit Spannung wird man verfolgen, welche ästhetischen Entwicklungen das Hörspiel aus den Bedingungen des "Meta-Mediums" Internet für sich zu nutzen weiß.
(Ulrike Schlieper-Müller)