Anhängeschild für den Sendersuchknopf des Deutschen Kleinempfängers DKE 38 | Bildquelle: DRA/Jörg-Uwe Fischer

Der Rundfunk kennt keine Grenzen

»Der Freiheitssender« von Walter Mehring (1943)

Während des Zweiten Weltkrieges war es trotz der Gleichschaltung des Rundfunks durch die Nationalsozialisten auch in Deutschland möglich, ein alternatives Radioprogramm zu empfangen. Länder wie Großbritannien, die USA und die Sowjetunion sendeten speziell produzierte deutschsprachige Sendungen, deren Ziel es war, der Propaganda der Nationalsozialisten eine Gegenstimme oder den vor Hitler geflohenen Exilanten ein Forum zu geben. Zu den bekanntesten Beispielen gehört der »Deutsche Dienst der BBC«, ein deutschsprachiges Programm, das bereits ab 1938 gehört werden konnte. Aufgrund der Übertragung auf Mittelwelle konnte es in Deutschland mit den von den Nazis verbreiteten, kostengünstigen Radiogeräten wie dem Volksempfänger und dem Deutschen Kleinempfänger auch tatsächlich empfangen werden.

Neben der BBC gab es viele weitere Sender, die aus dem Ausland ein an die deutsche Bevölkerung adressiertes Programm ausrichteten – darunter »Radio Moskau« und die »Stimme Amerikas«. Mit Blick auf die zahlreichen aus Deutschland vertriebenen Menschen im Exil gab es wiederum eigene Programmangebote, die entweder vor Ort oder durch Übertragung auf Kurzwelle auch über tausende Kilometer hinweg gehört werden konnten – vorausgesetzt man verfügte über das entsprechende hochwertige Empfangsgerät oder über Bastelgeschick beim Umbau einfacherer Apparate.
Der Rundfunk befand sich während der NS-Zeit also nicht nur im Dienst der Propaganda, der Rundfunk leistete auch Widerstand.

Zu den deutschsprachigen Programmangeboten in den USA gehörte die »German American Loyalty Hour«, eine regelmäßig ausgestrahlte Programmstunde, die auf Bestreben der vom »German Jewish Club« in New York herausgegebenen Zeitschrift »Aufbau« entstand. Das Programm dieser Radiostunde war geprägt von Nachrichten, Vorträgen, Musik und Hörspielen und war klar antifaschistisch eingestellt. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges nahm diese Tendenz zu, sodass die Programmstunde ab 1942 unter dem Titel »We fight back« produziert und anschließend von bis zu acht verschiedenen Radiostationen gesendet wurde. Das Kurzhörspiel »Der Freiheitssender« war Teil dieser Reihe. Verfasst wurde es von dem jüdischen Autor Walter Mehring, der bereits 1933 vor den Nazis ins Exil geflohen war.

Walter Mehring war für »We fight back« als Übersetzer und als Autor tätig. »Der Freiheitssender« war seine zweite Arbeit als Autor für die Reihe, hören konnte man das nur 10-minütige Stück vermutlich im Januar 1943. Ausgangspunkt des Hörspiels ist die Besetzung Norwegens durch die Wehrmacht. Dieses Thema war zum damaligen Zeitpunkt in den USA im Blickpunkt, weil auch John Steinbecks erfolgreiches Buch »The Moon is Down« und das darauf aufbauende und am Broadway aufgeführte Theaterstück sich dem Thema zuwendeten. In beiden Werken wird der Widerstand der Norwegerinnen und Norweger gegen die Deutschen zur Parabel für den Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung: In »Der Freiheitssender« wird von einem norwegischen Rundfunksender berichtet, der im Untergrund agiert und eine wesentliche Rolle bei der Organisation des Widerstands gegen die deutsche Besatzung einnimmt. Diese Bedeutung wird in dem Hörspiel durch eine Nachrichtenmeldung des »Freiheitssenders« nachvollziehbar, die wiederum direkt auf einen deutschen Radioaufruf reagiert, der zum Verrat der am Programm Beteiligten und des Senderstandortes aufruft (vgl. ab Minute 5:43 im oben verlinkten Hörspiel). Die Deutschen versuchen den »Freiheitssender« zum Schweigen zu bringen – doch der Sender und seine Mission können nicht gestoppt werden. Der Hauptdarsteller in Walter Mehrings Hörspiel ist also der Rundfunk selbst.

Götz Lachwitz

Zur Person Walter Mehring

Walter Mehring (1896 – 1981) galt als einer der profiliertesten und talentiertesten satirischen Autoren der Weimarer Republik. Er schrieb Theaterstücke, Bücher und Liedertexte. Nach der Aufführung seines Werkes »Der Kaufmann von Berlin« kam es 1929 zu einem Skandal: Das Stück über einen Juden, der während der Inflation unfreiwillig einen geplanten Putsch der Nazis unterstützt, wurde von heftigen Protesten der SA begleitet. Mehring gehörte daher zu denjenigen Schriftstellern, die unmittelbar nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten 1933 stark bedroht waren, insbesondere weil er selbst jüdischer Herkunft war. In Deutschland fielen seine Werke der Bücherverbrennung zum Opfer, für Mehring selbst begann eine langandauernde Zeit im Exil. Zunächst entkam er nach Frankreich, als die Nazis das Land besetzten, konnte er sich in die USA flüchten. Erst 1953 kehrte er nach Europa zurück.

Im Deutschen Rundfunkarchiv sind zahlreiche Sendungen und Manuskripte vom Deutschen Dienst der BBC überliefert, die zu wissenschaftlichen Zwecken ausgewertet werden können. Exemplarisch nachvollzogen werden können auch einzelne Sendungen anderer deutschsprachiger Sendungen aus dem Ausland, wie die »German American Loyalty Hour«.

Literatur-Tipps:

  • Pütter, Conrad (1986): Rundfunk gegen das Dritte Reich. Deutschsprachige Rundfunkaktivitäten im Exil 1933-1945. München: Saur.
  • Wittstock, Uwe (2024): Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur. München: C.H. Beck.
  • Sarkowicz, Hans / Hessischer Rundfunk / Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.) (2016): Geheime Sender. Der Rundfunk im Widerstand gegen Hitler. 8 CD, München: Der Hörverlag.

 

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