Lichtton-Spur eines im DRA überlieferten 35mm-Film-Negativs (Ausschnitt/Quer) | Bildquelle: DRA/Jens Wangenheim

Radiokunst am Filmschneidetisch

»Weekend« von Walter Ruttmann (1930)

»Weekend« von Walter Ruttmann gilt heute als wesentlicher Beitrag zur Entwicklung des Hörspiels in Deutschland. Das Werk wurde erstmals am 13. Juni 1930 im Abendprogramm der Berliner Funkstunde und in der Schlesischen Funkstunde ausgestrahlt. Angekündigt wurde Ruttmanns Werk zum einen als eine humorvolle Hommage an den Berliner Alltag, zum anderen als Hörspiel auf Tonfilm, das aufbauend auf die Schnitttechnik des Spielfilms hergestellt wurde. Es entstand nicht als Manuskript, das hinterher mit Schauspielern am Mikrofon inszeniert werden sollte, sondern anhand der Montage verschiedener zuvor aufgezeichneter Tonaufnahmen. »Weekend« ist ein rein aus Geräuschen, aus Klangfetzen aufgebautes Werk, das hohe Anforderungen an das Assoziationsvermögen der Hörerinnen und Hörer stellt. Ruttmanns Stück galt 1930 als Einleitung einer neuen funkischen Form und als konsequent hörfilmische Arbeit.

Schon 1928 wurde im Auftrag der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft Fritz Walter Bischoffs Hörfolge »Hallo! Hier Welle Erdball« mittels Filmton aufgenommen.[1] Wie »Hallo! Hier Welle Erdball« wurde »Weekend« mit einem Verfahren, das den Ton als Lichtspur am Rand des Celluloid-Filmstreifens aufzeichnet, produziert. Dieses Lichtton-Verfahren wurde erstmals 1922 in Berlin öffentlich vorgestellt. Hervorgehoben wurden dabei die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten, die sich v.a. daraus ergaben, dass durch Überblendungen und andere technische Verfahren neuartige akustische Wirkungen hervorgebracht werden konnten.[2] Bischoff und Ruttmann nutzten diese eigentlich zur Untermalung visueller Eindrücke gedachte Verfahren, um die Montage-Möglichkeiten des Films auf das Hörspiel als ausschließlich akustische Gattung auszudehnen.

Nach der erstmaligen öffentlichen Ausstrahlung nannte die Redaktion der Schlesischen Funkstunde Ruttmans Arbeit einen »abstrakten akustischen Film« und schrieb dazu: »Die Klangtreue war von faszinierender Wirkung. Der Inhalt des Films ist nichts anderes als eine der Photomontagen ähnlicher Montage von Worten, Tönen und Geräuschen, fetzenhaft übereinander montiert, übereinander geblendet und geschnitten. »Weekend« ist ein sinfonisches Gemälde von Arbeits- und Feiertag: Maschinen stampfen, fauchen, Fernsprecher schrillen, Schreibmaschinen klappern, Glocken klingen, ein abgerissenes Gespräch weht herein, Glockenklang und Liebesgeflüster huschen vorüber. Es ist das akustische Bild des Arbeitsanganges, der Arbeit und des Arbeitsschlusses, das Bild des Sonntagsausflugs und des stöhnend-quälenden Arbeitsanfangs am andern Morgen. Die Geräuscheindrücke von zweimal 24 Stunden sind zusammengedrängt auf etwa 11 Minuten Spielzeit.«[3]

»Weekend ist ein sinfonisches Gemälde von Arbeits- und Feiertag: Maschinen stampfen, fauchen, Fernsprecher schrillen, Schreibmaschinen klappern, Glocken klingen, ein abgerissenes Gespräch weht herein, Glockenklang und Liebesgeflüster huschen vorüber. Es ist das akustische Bild des Arbeitsanganges, der Arbeit und des Arbeitsschlusses, das Bild des Sonntagsausflugs und des stöhnend-quälenden Arbeitsanfangs am andern Morgen.«[4]

Darüber hinaus ist richtiges Lob in den zeitgenössischen Publikationen selten. Von Überschwang keine Spur. In der Zeitschrift »Die Sendung« war beispielweise zu lesen: »Ruttmanns akustischer Film (…) setzt bei den Hörermassen zu viel voraus. (…) Werke aber, die erst erklärt werden müssen, sind nicht mikroreif. Funkisch Gekonntes erklärt sich von selbst!«[5] Hans Flesch, Intendant der Berliner Funkstunde urteilte: »Jeder Mensch ist vom Optischen besessen. Die Einfühlung in ein Kunstwerk, das nur im Akustischen liegt, ist außerordentlich schwer.«[6]

Auch die weitere Einordnung des Stücks fiel den damaligen Kritikern nicht leicht. Im zeitgenössischen Rundfunkschrifttum sind die unterschiedlichsten Begrifflichkeiten für Ruttmanns Arbeit zu lesen: »akustischer Tonfilm«, »Klangfilm«, »Hörfilm«, »abstraktes Hörspiel«, »Toncollage«, »Hörspiel auf Tonfilm«, »Hörspielfilm«, »bildlose Tonfilmkunst«, »abstrakter akustischer Film«, »Film ohne Bilder«. Die breite Rezeption des Stücks und die damaligen Bemühungen einen Begriff für Ruttmanns abstraktes Hörkunstwerk zu finden, verweisen aus heutiger Sicht aber auf dessen experimentelle Einzigartigkeit, die »Weekend« auch als Vorreiter von Sampling und »found footage« zu etwas Besonderem macht.

»Weekend« von Walter Ruttmann, Berliner Rundfunk 1930

Übrigens: »Weekend« scheint 1930 ein eingeführtes Wort gewesen zu sein, v. a. für Radiohörerinnen und -hörer. So findet sich in den damaligen Programmzeitschriften eine ganze Reihe mit Titeln, in denen der Begriff auftaucht: »Weekend-Lieder«, »Vom fröhlichen Weekend«, »Weekendfahrten mit Eisenbahn, Auto und Flugzeug«, »Das Weekend-Paradies«, und schließlich auch das Hörspiel »Weekend« von Wilhelm Lichtenberg – ein ganz klassisch inszeniertes Hörspiel, das mit dem von Ruttmann außer dem Entstehungsjahr aber nichts gemeinsam hat.

Jörg-Uwe Fischer

Zur Person Walter Ruttmann

Walter Ruttmann (1887 – 1941) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des abstrakten Experimentalfilms. Er arbeitete als Kameramann und Regisseur und wurde zunächst mit experimentellen Kurzfilmen wie »Lichtspiel opus 1–4« bekannt, für die er die Filmbilder aufwändig und einzeln einfärbte. Sein filmhistorisch bedeutendstes Werk ist der 1927 entstandene Langfilm »Berlin – Die Sinfonie der Großstadt« – ein Stummfilm, bei dem der rhythmische, musikalische Schnitt dokumentarischer Filmaufnahmen aus Berlin Assoziationen des Lebens in der Großstadt hervorruft. Der Film kann daher als visuelles Pendant zu »Weekend« angesehen werden. Während der NS-Zeit arbeitete Ruttmann als Regisseur für Werbefilme bei der UFA.

Literatur-Tipps:

  • Goergen, Jeanpaul (Hrsg.) (1989): Walter Ruttmann. Eine Dokumentation. Berlin: Freunde der deutschen Kinemathek.
  • Morat, Daniel (2013): Die Sinfonie der Großstadt. Berlin und New York. In: Paul, Gerhard (Hrsg.), Sound des Jahrhunderts. Geräusche – Töne – Stimmen. 1889 bis heute. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 155–161.